Der Westweg ist ein Projekt des Schwarzwaldvereins und wurde bereits 1900 als erster Fernwanderweg im Schwarzwald angelegt. Er verbindet Pforzheim auf 285 Wanderkilometern mit Basel und durchquert den kompletten Gebirgszug des Schwarzwalds am Rande des Oberrheingrabens. Ganz konnte ich mir den Weg nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit vornehmen, aber ein Stück wollte ich einfach mal mitten im Winter gehen. Allerdings: Schneeschuhe waren dafür nicht notwendig. Die Schneearmut der vergangenen Jahre selbst auf den Höhen des Schwarzwaldes setzte sich auch Anfang 2025 fort.
Samstagmorgen, die ersten Sonnenstrahlen kitzeln meine Nase, während ich meinen Rucksack schnappe und mich auf den Weg mache. Pforzheim liegt hinter mir, der Westweg vor mir. Ein Lächeln huscht über meine Lippen, denn ich weiß, was mich erwartet: sieben Tage unberührte Natur, Stille und die Herausforderung, den Schwarzwald im Winter zu durchqueren - und ein paar Kilometer des Nord-Süd-Trails.
Die ersten Kilometer sind noch etwas unsicher, die Muskeln müssen sich erst an die ungewohnte Belastung gewöhnen. Doch schon bald bin ich im Rhythmus und genieße die frische Luft und die winterliche Landschaft. Die Bäume stehen kahl da, ihre Baumwipfel sind vom Raureif überzogen und der Boden knirscht unter meinen Füßen. Es ist eine Stille, die man hören kann, unterbrochen nur vom eigenen Atem und dem Zwitschern der wenigen Vögel, die dieser Kälte trotzen.
Leider spielt das Wetter noch nicht so recht mit: die tiefhängenden Wolken haben sich in den Winterwald verkrallt und geben keine Sicht frei. Für mich aber kein Verlust, denn diese spannende Stimmung hat auch etwas. So achtet man eher auf die naheliegenden Dinge am Wegrand. Zum Beispiel dieses zarte Gespinst aus Feenhaar, das aus manch abgestorbenen Ast am Waldboden wächst. An sich ist es ja gefrorenes Wasser, dass aus winzigen Löchern des Totholzes austritt. Grund dafür ist ein im Holz wohnender Pilz, der vermutlich als Frostschutz das Wasser nach außen verdrängt. Das Haareis ist eine der faszinierendsten Erscheinungen im Wald, wenn die Temperaturen gerade so um den Gefrierpunkt liegen.
Von Pforzheim aus geht es auf dem Westweg über Dobel nach Forbach. An der Schwarzenbach-Talsperre vorbei steigt man nun zum „richtigen“ Nordschwarzwald hinauf. Oberhalb von Herrenwies passiert man die Badener Höhe (1002 m) mit ihrem Aussichtsturm. Ab dem Hundseck begleitet der Weg die herrlich gelegene Schwarzwaldhochstrasse nach Untersmatt.
Als Übernachtungsorte habe ich mir einfache Schutzhütten am Wegesrand ausgesucht. Ich hoffe, dass in allen die Sitzbänke ausreichend breit sind, dass ich mich mit meinem Schlafsack drauflegen kann. Auf dem kalten Boden möchte ich trotz dicker Isoliermatte unter dem Schlafsack nicht liegen. Aus diesem Grund habe ich auch meinen Kocher dabei, Gaskartusche und Essen für mehrere Tage.
Obwohl ich natürlich wusste, dass die Nächte kalt werden, sind die ersten Nächte doch wirklich richtig frisch. Bei weniger als -10°C wird mir sogar in meinem Mountain Equipment Helium 600 Schlafsack an den Füßen kalt. Drei Hosen und die Füsse in den Armen meiner Überjacke helfen, dennoch halbwegs warm zu bleiben. Ein Schlafsack ohne dicke Kapuze wäre jetzt völlig ungeeignet – mehr als ein schmaler Sehschlitz lasse ich in der Nacht nicht offen. Doch so fühle ich mich im hellen Schein des Vollmondes in meinen Übernachtungshütten geborgen.
Am Morgen baue ich dann auch immer schnell das Nachtlager ab. Mit steifen Fingern stopfe ich alles in den Rucksack. Erst einmal bewegen, um wieder Durchblutung und Wärme im Körper zu verteilen. Als Komfortwanderwege bieten sich entlang des Westweges auch immer wieder Gelegenheiten, in ein Kaffee zu gehen und sich mit einem heißen Kaffee aufzuwärmen.
Eine einsame Wanderung über die Höhen des Schwarzwalds
Bis auf ein paar Tageswandere treffe ich in den sechs Wandertagen niemanden. Der winterliche Schwarzwald gehört sozusagen mir und den wenigen Tieren, die ich beobachten kann.
Was ich am Schwarzwald mag, ist die Vielfalt der Landschaften. Mal wandert man auf dem Westweg durch dichte Fichtenwälder, mal über weite Hochflächen mit einem atemberaubenden Panoramablick. Besonders die Überquerung der waldfreien Hochfläche der Hornisgrinde (1164 m) von Unterstmatt zum Mummelsee ist richtig toll. Am Abend gibt es ein fantastisches Panorama mit Blick hinüber zu den 60, 70 Kilometer entfernten Bergen der Vogesen. Davor die Rheinebene komplett mit einer Wolkendecke gefüllt: Magisch!
Problematisch ist es allerdings, dass es ausgerecht dort oben irgendwie keine Schutzhütte gibt. Im letzten Licht der schon lange hinter dem Horizont verschwundenen Sonne finde ich einen Platz unter einem weit herausragenden Vordach einer kleinen, verschlossenen Hütte. Leider fängt es genau in dieser Nacht an zu regnen, was bei drei offenen Seiten meiner Liegestatt irgendwie doof ist. Zwar hat mich mein Regencape etwas geschützt, aber am Morgen ist halt doch alles klamm und feucht.
Am schlimmsten ist allerdings das Eis, dass sich durch den Regen auf den Wegen gebildet hatte. Der Abstieg zum Mummelsee gestaltet sich darum auch halsbrecherisch.
Leider spielt das Wetter nicht ganz mit
Die Wettervorhersage hatte eigentlich für die Wanderwoche gut ausgesehen. Und an der Schwarzwaldhochstrasse gibt es im Bereich der Hornisgrinde tolle Aussichten. Doch an diesem Tag spielt das Wetter leider nicht mit. Dicke Nebelschwaden ziehen über die Höhen und verhüllen die Schönheit des Mummelsees. Dennoch hat auch dieser trübe Tag seinen ganz eigenen Reiz. Allerdings überlege ich ernsthaft, angesichts der Wegverhältnisse die Wanderung abzubrechen: zu gefährlich, alleine durch den Wald zu laufen und auf einer Glatteisstelle auszurutschen.
Am Donnerstag war jedoch sowieso Erholung angesagt. Ein Wellness-Hotel im Herzen des Schwarzwalds bietet mir die Möglichkeit, an diesem Tag Körper und Geist zu entspannen. Sauna, Massage und ein köstliches Abendessen – das ist genau das, was ich brauche, um neue Kraft für die letzten Etappen zu tanken.
Die letzten Tage meiner Wanderung führen mich am Ruhestein-Skihang vorbei über aussichtsreiche Höhenzüge. Immer wieder gäbe es tolle Aussichten – wären da nicht die hartnäckigen Wolken und Nebel. Erst kurz vor Hausach kommt wieder die Sonne hervor und versüßte mir die letzten Wanderkilometer.
Als ich schließlich in Hausach ankomme, fühle ich mich erfüllt und glücklich. Der Westweg im Winter war eine Herausforderung, aber auch ein tolles Erlebnis. Die Einsamkeit und die Schönheit der Natur haben mich wieder einmal tief berührt.
Was ich an mir selbst bemerkt habe, war die Routine, mit der ich auch unter den extremen Bedingungen diese Wanderung absolviert habe. Ich spüre, dass mir da einfach die Erfahrungen aus vielen Tausend Wanderkilometern Sicherheit und Zuversicht geben. So konnte ich auch besser dieses Erlebnis genießen, ohne mir zu viele Gedanken machen zu müssen. Und überfallen wird man in solchen winterlichen Nächten an so abgelegenen Orten auch nicht.