Ich sitze hier und meine Hände liegen auf einer alten Landkarte. Ich lasse meinen Blick über die unzähligen Pfade und Gebirgszüge darauf schweifen. Jeder Strich, jede Kurve erzählt von Abenteuern, die darauf warten, gelebt zu werden. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, gepaart mit einer tiefen Sehnsucht. Denn in mir reift der Entschluss, dass mein Leben sich nun grundlegend verändern wird, verändern muss.
Vier Jahrzehnte habe ich als Heilerziehungspflegerin gearbeitet. Ich habe meine Schützlinge in ihren Höhen und Tiefen begleitet, ihnen zugehört, ihnen geholfen. Mein Beruf und ich, wir waren wie füreinander bestimmt. Es war eine erfüllende Aufgabe, die mir viel gegeben hat. Doch in den letzten Jahren spüre ich, wie sich mein Körper und meine Seele verändert haben. Die Freude an meiner Arbeit wich seitdem einer wachsenden Müdigkeit und seelischen Erschöpfung. Die körperliche Belastung und die emotionalen Anforderungen lasten nun sehr auf mir.
Ich erinnere mich noch gut an meine erste ganz große Fernwandertour – den Pacific Crest Trail 2022 in den USA. Und kurz davor 2019/2020 schon der Fernwanderweg Te Araroa auf der Neuseelandischen Südinsel. Diese Erfahrungen, die ich auf diesen monatelangen Wanderungen erlebt durfte, haben mein Leben und meine Haltung zu meinem Leben nachhaltig geprägt. Das Gefühl der Freiheit, die Schönheit der Natur und die Begegnungen mit fremden Menschen haben in mir eine Sehnsucht entfacht, die immer größer wird. Auf diesen Wegen habe ich mich selbst neu entdeckt, meine Grenzen ausgelotet und eine tiefe Verbindung zur Natur aufgebaut.
Erneut fühlt es sich an, als wäre es nun, im dritten Drittel meines Lebens, meine Bestimmung, diesen Weg zu gehen. Inzwischen ist der Wunsch nach Veränderung so groß geworden, dass ich ihn nicht mehr ignorieren kann. Ich sehne mich nach einem Leben, in dem ich meine eigenen Entscheidungen treffe, meine Zeit frei einteilen und mich ganz meinen Leidenschaften widmen kann. Das Wandern soll dabei im Mittelpunkt stehen. Ich möchte die Welt zu Fuß entdecken, neue Kulturen kennenlernen und mich selbst immer wieder aufs Neue herausfordern. Ich freue mich auf diese neue Lebensphase.
Natürlich ist dieser Schritt mit vielen Unsicherheiten verbunden. Die finanzielle Absicherung, die Gesundheit und die Frage, wie mein neues Leben aussehen wird, beschäftigen mich. Doch die Vorfreude auf das Unbekannte überwiegt bei weitem. Ich bin überzeugt davon, dass ich die richtige Entscheidung treffe.
Es ist ein Abschied von einem Leben, das ich lange Zeit voller Liebe, Demut und Dankbarkeit geführt habe. Aber es ist auch der Beginn eines neuen Kapitels, voller Abenteuer und Möglichkeiten. Ich bin gespannt, was die Zukunft für mich bereit hält und freue mich auf die Herausforderungen, die auf mich warten. Denn eines ist sicher: Ich bereue im Rückblick mein wechselvolles Leben nicht und wenn ich ihm nun diese neue Richtung gebe, werde ich auch diesen Teil meines Lebens lieben. Ein erfülltes Berufsleben, zwei Söhne, auf die ich stolz bin und nun die Vorfreude auf das, was kommen darf.
Inzwischen bin ich zudem Teil der großen Gemeinschaft der Fernwanderer und Weitreisenden geworden. Habe Kontakte geknüpft und Freundschaften über große Distanzen aufgebaut. Es ist für mich immer wieder beeindruckend, wie selbst massive sprachliche Barrieren kein Hindernis sind, wenn statt des Verstandes das Herz den anderen sieht. Kontakte, die auf diese Weise zustande kamen, sind die beständigsten – und finden Wege, wieder zueinander zu finden. Wie beispielsweise mit Cathrin, die ich auf dem Te Araroa kennenlernte und für eine kurze Zeit mit ihr zusammen wanderte. Da ich mehrfach meine SIM-Karte tauschen musste, hatte ich ärgerlicherweise alle Kontakte verloren. Doch nun hat sie mich über Facebook wieder gefunden. Und schon ist ein Plan für 2026 entstanden: Sie kommt nach Deutschland und besucht mich. Dann kann ich ihr ja vielleicht ein paar Tage Weitwandern in unserem schönen Heimatland anbieten.
Dezember 2024
Letztens hatte ich wieder so einen zufälligen Kontakt, von dem man nicht glauben mag, dass er überhaupt möglich ist. Auf der Suche nach einem neuen Packsack für meinen Schlafsack hatte ich in den Kleinanzeigen ein günstiges Angebot gefunden. Als Weitwanderer achtet man ja auf jedes Gramm und so ist selbst ein Packsack kein 08/15 Artikel. Und der junge Mann bot genau das an, was ich suchte.
Wie sich im weiteren Verlauf des Verkaufs herausstellte, war er wie ich 2022 auf dem PCT unterwegs gewesen. Und wir hatten uns in Kennedy Meadows North nur um zwei Tage verpasst – sonst hätten wir uns womöglich sogar persönlich kennen gelernt.
Dieser Zufall lies, wie auch jedes Bild vom Trail oder ein Youtube Film von den Swiss Nomads, die Erinnerung an den PCT wieder so lebendig werden. Sofort ist da wieder die Sehnsucht nach der Natur und der Einfachheit des Lebens auf dem Trail.
In die Sehnsucht mischt sich inzwischen jedoch ganz massiv die Vorfreude. Nach vielen Überlegungen, nach vielem Abwägen und einer Beratung bei der Rentenstelle habe ich den Endpunkt meiner Lebensarbeitszeit festgelegt. Es gibt einen festen Termin, ab dem ich fast völlig frei planen kann, wie mein Leben weiter geht und was ich machen werde.
Pläne, Änderungen und feste Entscheidungen
Zunächst hatte ich die Idee, von der Südspitze von Südamerika, von Feuerland aus, die chilenische Küste entlang mit meinem Mini-Camper (Fiat Panda 4x4) nach Norden zu fahren. Dabei immer wieder Abstecher zu machen in die Anden und dort mehrere Tage zu wandern. Und danach dann der Pan Americana und dem Frühling weiter nach Norden zu folgen, um dann früh im Folgejahr auf den CDT zu starten.
Transamericana
Eine wichtige Überlegung dabei ist der Umstand, dass mit zunehmendem Alter so große Fernwanderwege wie der Central Divide Trail (CDT) mit seinen rund 5.000 Kilometern und 130.000 Höhenmetern immer schwerer werden. Also so früh wie möglich in der Rente auf diesen Fünf-Monate-Trip gehen!
Allerdings gestehe ich, dass ich nach der ersten Euphorie doch ein wenig Respekt vor diesem Plan entwickelte. Ganz alleine und ohne richtige Erfahrung und gänzlich ohne technisches Verständnis von den Innereien eines Autos die 20.000 km quer durch Süd- und Mittelamerika….das schien mir dann doch zu gewagt.
Der Continental Divide Trail
Also doch „nur“ der CDT, der Continental Divide Trail in 2025. Schon hatte ich Feuer gefangen und stürzte mich in die Planung. Weil dies der härteste Trail der drei großen Fernwanderwege in den USA ist, starten nur wenige Hundert Wanderer jedes Jahr in Mexiko – und ich wollte, weil meine Rentenplanung es nicht anders zuließ, sogar im Norden, in Montana starten und SoBo (South Bound) gehen. Das machen nur eine Handvoll Fernwanderer pro Jahr und es war klar: Ich würde auf dem gesamten Weg kaum eine Chance auf eine Trailfamily oder überhaupt andere Wanderer in meiner Richtung haben. Aber: das würde mich nichts ausmachen, denn ich weiß ja von meinen anderen Wanderungen, dass es dennoch immer wieder wunderbare Begegnungen gibt.
Doch dann kamen die Menschen, die mich schon auf dem PCT oder dem Te Araroa in Neuseeland begleitet haben: Sie wollen den CDT in 2026 angehen….und der Gedanke, nicht gänzlich auf mich selbst gestellt zu sein, gefiel mir. Zwar unterscheidet sich unser Wandertag zum Teil erheblich – ich gehe gerne schon in der Dämmerung los, andere beginnen den Tag gemütlich – aber man traf sich damals abends dann wieder am Nachtplatz.
Der Gedanke, im Notfall nicht ganz auf mich gestellt zu sein und auch ab und zu die Kosten für teuren Unterkünfte mit anderen teilen zu können, gefällt mir inzwischen so gut, dass ich nun für 2025 einen neuen Plan habe: der Great Divide Trail in Canada. Er beginnt dort, wo der Central Divide Trail endet und führt durch die wunderschöne Wildnis von British Columbia weiter nach Norden. Die Vorfreude ist riesengroß.
Ich liebe es, an meinem Tisch zu sitzen und Informationen zusammen zu tragen. Wo kann man übernachten, wo braucht man Permits, um z.B. privates Land zu queren oder in einem Nationalpark zu übernachten, wo gibt es Möglichkeiten, Verpflegung einzukaufen und wo muß man ggf. ein Versorgungspaket vorab hinsenden? All das erhöht die Vorfreude, macht es viel intensiver, wie nur den einen oder anderen Youtube-Film über den Weg anzusehen.
Der Plan für 2025 und was dann doch nur möglich ist
Ende 2024 stand fest: der noch sehr „neue“ Wildnispfad GDT (Great Divide Trail, 1130 km, Re-Eröffnung 2013) in Canada wird es in 2025 werden und 2026 dann, zusammen mit ein paar Freunden, der CDT in Amerika. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr ich mich darauf freute!
Einen weiteren Vorteil hatte dieser Plan: Ich kann vorher noch die letzten 50 km des PCT laufen, die ich 2022 wegen der Waldbrände nicht bis zum Northern Terminus gehen konnte.
2025: Der Nord-Süd-Trail (NST)
Tja, aber dann durchkreuzte doch das reale Leben meine Pläne und...so wird es in 2025 doch "nur" der Nord-Süd-Trail werden. Das sind immerhin 3.500 km quer durch Deutschland - ein ganz neuer Long Distance Walk in Old Germany!
Trail bedeutet Gemeinschaft und Alleinsein, gegenseitige Hilfe und manchmal auch Einsamkeit. Der Trail wird einen verändern und stärker machen – selbst wenn man ihn irgendwo vor seinem „Ende“ beenden muss. Trail ist nicht nur ein Weg, es ist das Abenteuer des Lebens auf eine ganz neue und andere Weise erlebt. Trail ist ein Lebensgefühl – für manche eines, dass sie nicht mehr missen wollen!