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Man muß nicht alles wissen! Nur, wo es steht!

CO₂-Entnahme: Europas Chance auf eine Zukunftsindustrie

Europa steht vor großen Herausforderungen: steigende Strompreise, die enormen Kosten der Energiewende, eine rasch steigende Konkurrenzsituation mit dem asiatischen Raum und drohende Zölle setzen die exportstarken Industrien – namentlich in Deutschland - unter Druck. Der US-Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen hat die globalen Klimaschutzbemühungen geschwächt und Europas Verantwortung erhöht.

Doch genau darin liegt eine strategische Chance: Die technische CO₂-Entnahme (also nicht durch z.B. Waldprojekte wie der Green Belt im Süden der Sahara oder der Green Wall in China) entwickelt sich zu einem Zukunftsmarkt, in dem Europa die Führung übernehmen kann. Während die USA ihre Position in KI und Quantencomputing ausbauen, bietet sich hier die Möglichkeit, eine Schlüsseltechnologie der grünen Transformation zu dominieren.

Eine Technologie für die Zukunft heute weiterentwickeln

Die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen erfordert nicht nur die Reduktion des CO₂-Ausstoßes, sondern auch die Entnahme von bereits emittiertem CO₂ aus der Atmosphäre. Die EU-Kommission rechnet mit einem Bedarf von mehreren hundert Millionen Tonnen CO₂-Entnahme pro Jahr bis 2050.

Die wissenschaftlichen Grundlagen für diese Technologien sind bereits vorhanden. Es gibt verschiedene Verfahren, die CO2 aus der Luft oder aus industriellen Abgasen abtrennen können. Dazu gehören beispielsweise die bei DAC (Direct Air Carbon Capture) erfolgende Absorption mit flüssigen oder festen Stoffen, die Adsorption an Oberflächen, das Membrantrennverfahren und die kryogene Abscheidung. Auch die Techniken für die Speicherung des abgeschiedenen Kohlendioxyds sind in der Erprobung und in einigen Ländern der EU bereits in Betrieb (z.B. Speicherung in erschöpften Erdöl- und Gaslagerstätten, mineralische Speicherung und Speicherung in z.B. Beton sowie die Nutzung in Power-to-X Technologien).

Ein Markt mit enormem Potenzial

Insbesondere in Europa, wo ein Großteil des Know-hows in diesem Bereich konzentriert ist, könnte sich ein neues Geschäftsmodell entwickeln. Unternehmen, die sich auf die Entwicklung und den Einsatz dieser Technologien (Carbon Capture CC und Storage CCS) spezialisieren, könnten zu wichtigen Akteuren im Kampf gegen den Klimawandel werden.

Laut einer Studie könnte die Carbon-Capture/Removal-Branche bis 2030 zu einer Industrie im Wert von 14 Milliarden Euro und bis 2050 von mehreren Hundertmilliarden Euro heranwachsen. Europa hat das Potenzial, sich daran einen erheblichen Anteil zu sichern und langfristig viele Tausend neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Neben dem Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie e.V. (BVEG) sind auch der Dachverband der Geowissenschaften (DVGeo), das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), das Forschungszentrum Jülich und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ein Teil der Forschungs- und Entwicklungsgemeinschaft in Europa. Unternehmen wie Svante und Aker Solutions, aber auch die Ölfirmen Exxon, ADNOC, Shell, BP, Total Energies und Equinor engagieren sich in diesem Bereich mit. Besonders die zweitgenannte Gruppe haben natürlich ein Eigeninteresse, die sich verringernden Einnahmen aus der Erdöl- und Ergasförderung durch neue Geschäftsmodelle zu kompensieren.

Europas Stärken

Europa verfügt also über das notwendige wissenschaftliche und industrielle Potenzial, um CO₂-Entnahme-Technologien zu entwickeln und zu skalieren. Insbesondere Deutschland mit seiner leistungsstarken Maschinenbau-, Chemie- und Ingenieurbranche ist prädestiniert, die Führung zu übernehmen.

Zudem verfügt Europa über politische Mechanismen wie den europäischen Emissionshandel und den Green Deal, um die CO₂-Entnahme und Speicherung (CC, CCS) als effektive Klimaschutzmaßnahme und Wirtschaftsfaktor zu fördern.

Dazu gilt es, klare Rahmenbedingungen zu schaffen, CO₂-Infrastrukturen zu fördern, Investitionssicherheit zu gewährleisten und effektive Marktmechanismen zu etablieren.

Die kommende Bundestagswahl bietet die Gelegenheit, eine klimapolitische Richtung einzuschlagen, die CC, CCS und CCU (Carbon Capture and Use) als industriepolitische Zukunftsstrategie versteht und das wirtschaftliche Potenzial realisiert.

Die Zeit drängt

Zwar nimmt die natürliche CO₂-Entnahme derzeit durch eine Zunahme an Landbiomasse zu, gleichzeitig belastet aber die zunehmende Versauerung der größten CO2 Senke, den Weltmeeren, das biologische Leben dort. Zudem sind auch die industriellen Technologien bei weitem noch nicht ausreichend skaliert und erprobt. Ohne politische Unterstützung droht der Forschungs- und Industrialisierungsstandort Europa hinter die gesteckten Ziele zurückzufallen.

Die wichtigsten Maßnahmen:

  1. Klare Rahmenbedingungen schaffen: Die Technologien der CO₂-Entnahme (CC, CCS, CCUS) muss explizit in die EU-Klimapolitik und die nationalen Netto-Null-Strategien aufgenommen werden.
  2. CO₂-Infrastruktur fördern: In einem ersten Schritt wurden in der EU mehrere Großprojekte ausgewählt, um unterschiedliche Technologien in industrieller Größenordnung zu erproben. Beispiele sind Kairos-at-C(BE), K6 (Fr) und Sharc (Fi).
  3. Förderung von Forschung und Entwicklung: Es sind weitere Investitionen in Forschung und Entwicklung erforderlich, um die Technologien zur CO2-Entnahme und -Abscheidung effizienter und kostengünstiger zu machen.
  4. Direkte Förderung und Investitionssicherheit gewährleisten: Die EU sollte sicherstellen, dass die CO₂-Entnahme als Vermeidung von CO2 Emission in bestehende Klimaziele einfließt und dadurch wirtschaftlich attraktiv wird. Unternehmen, die in diese Technologien investieren, sollten durch staatliche Anreize unterstützt werden.
  5. Marktanreize schaffen: Erträge aus dem EU-Emissionshandel sollten gezielt in Investitionen in CO₂-Entnahme-Technologien gelenkt werden.

Kein Allheilmittel

Technische CCS-Technologien erfordern erhebliche Mengen an Energie für die Abscheidung, den Transport und die Speicherung von CO2. Im ungünstigsten Fall führt das zu zusätzlichen Emissionen, wenn die benötigte Energie überwiegend aus fossilen Brennstoffen gewonnen wird. Daher ist es entscheidend, dass CCS-Anlagen mit erneuerbaren Energiequellen betrieben werden, um ihre Netto-Auswirkungen auf den Klimawandel zu minimieren.

Vielfalt der Lösungen zur Kohlenstoffentfernung

Um die Klimaziele zu erreichen, ist ein breiter Ansatz zur Kohlenstoffentfernung aus der Atmosphäre erforderlich, der verschiedene Technologien und Ansätze umfasst. Neben CCS sind dies beispielsweise:

  • Aufforstung und Wiederherstellung von Wäldern, Verwendung biologischer Baustoffe im Gebäudebau (temporäre Entnahme von Kohlenstoff aus dem Kreislauf)
  • Wiedervernässung von Mooren, Aufbau von Humusschichten
  • Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (BECCS): Hier wird Biomasse als Energiequelle genutzt und das dabei freigesetzte CO2 abgeschieden und gespeichert.
  • Forcierte Gesteinsverwitterung: Bestimmte Gesteine (z.B. poröse Basalte) können CO2 binden und so langfristig im Boden fixieren.
  • Wichtig bei der Betrachtung: das direkte Auffangen von CO2 Emissionen an Orten, an denen das klimawirksame Gas durch Verbrennung von fossilen Energieträgern entsteht, ist KEINE Entnahme aus der Atmosphäre (kein negativer Netto-Null Effekt).

CCS kann eine wichtige Rolle bei der Reduzierung von Emissionen aus Industrien spielen, die schwer zu dekarbonisieren sind, wie z. B. Zement- und Stahlwerke. Es ist jedoch wichtig, CCS-Techniken nicht als alleinige Lösung zu betrachten, sondern als Teil einer umfassenden Strategie, die auch andere Kohlenstoffentfernungstechnologien und die Reduzierung von Emissionen durch Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energien umfasst.

Vorteile des Technologiestandorts Deutschland nutzen

Den Wettbewerbsvorteil bei den Carbon Removal Technologien von Deutschland zu erhalten bedeutet auch für Unternehmen, ein stückweit ins Risiko zu gehen, um Entwicklungen so weit voranzutreiben, dass Fördergelder möglichst nutzbringend für die Gesellschaft eingesetzt werden. Die Wirtschaft sollte daher weiter die Technologie- und Produktionskapazitäten ausbauen. Dabei sollte ein diverser, unvoreingenommener Ansatz verfolgt werden mit dem Ziel, nicht alle möglichen Lösungen zu skalieren, sondern die besten und kosteneffizientesten Technologien für die nahe Zukunft bis 2030 und dann 2050 zu fördern. Das betrifft auch die marktorientierte Integration der CO₂-Entnahme direkt an Entstehungsorten (Stahlindustrie, Raffinerien, fossile Kraftwerke, Chemische Industrie....) und branchenübergreifende Projekte zum Auffangen und Speichern von CO2 eigenständig zu fördern. Das langfristige Ziel dabei ist, die gewonnen Erkenntnisse in echte negative CO2-Emissionen umzusetzen. Also tatsächlich in nennenswertem Umfang (Gigatonnen-Bereich) CO2 der Atmosphäre zu entziehen. CCS ist dabei nur ein Baustein!

Europa hat alle Voraussetzungen, um im Klimatechnologie-Markt eine globale Führungsrolle zu übernehmen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt. Die Ergebnisse der Bundestagswahl und das weitere Vorgehen der kommenden Regierung werden mitentscheiden, ob Deutschland und Europa diese Chance nutzen oder ins Hintertreffen (Solarbranche, Windkraft....) geraten.

 © Gerald Friederici 12/24