Vor einigen Jahren wurde bekannt, dass in der gesamten Erdgas-Infrastruktur vom Bohrloch bis zum Verteilnetz weltweit Millionen Kubikmeter Methan entweichen. Grund dafür sind nicht ordnungsgemäß verfüllte Bohrlöcher, aber vor allem auch Leckagen in den Rohren, Schiebern und Ventilen. Diese Undichtigkeiten könnten auch beim Wasserstoff ein erhebliches Problem darstellen.
Kaum eine größeres Infrastruktur-System kann als wirklich Leckage-frei bezeichnet werden, da der Aufwand dafür enorm ist. Und bei dem kleinsten Molekül im Periodensystem ist dies noch schwerer zu bewerkstelligen. Zwar arbeitet die Industrie bereits seit langem mit Wasserstoff als Grundchemikalie, z.B. zur Produktion von Dünger (NH4NO3), doch bislang wurde wenig zu der Klimaauswirkung von entweichendem Wasserstoff geforscht. Die bisherigen Ergebnisse legen nahe, dass Wasserstoff zwar nicht direkt als GHG (klimaschädliches Treibhausgas) wirkt. Doch das relativ reaktionsfreudige Gas kombiniert mit Hydroxyl-Molekülen zu Wasser und entnimmt damit der Atmosphäre die für den Abbau klimaschädlicher Treibhausgase notwendigen reaktiven Partner. Der Ozon-Anteil in der Atmosphäre steigt an und die Verweildauer des Klimagases Methan wird verlängert. Die Untersuchungen deuten an, dass die klimaschädlichen Auswirkungen durch Wasserstoff-Leckagen um bis zu 30-fach höher sind wie die durch die Emission von Kohlendioxid verursachten.
In diesem Zusammenhang muß man allerdings auch betrachten, dass die Infrastruktur für das bestehende und künftig weiter ausgebaute Wasserstoff-Netzwerk deutlich neuer sein wird wie das für Erdgas und Erdöl. Auch fließen deutlich mehr Erfahrung in Bezug auf Leckage-Vermeidung und -Detektion in den Bau dieser Infrastruktur. Schließlich ist nachhaltig erzeugter, grüner Wasserstoff im Moment und vermutlich auch auf längere Zeit ein wertvolles Gut, bei dem Unternehmen schon aus Eigennutz einen größeren Mengenverlust vermeiden werden.
Im Moment befindet sich die internationale Normung und die staatlichen Regulierungen dazu noch in einem Entwicklungsprozess. Klar ist, dass diffuse, nicht genau zu lokalisierende Lecks absolut vermieden werden müssen. Insbesondere im Rohrleitungsbau gibt es dazu bereits Jahrzehnte-alte Erkenntnisse, die weiter verfeinert werden. Denn viele Kunststoffe sind nur bedingt diffusionsdicht gegenüber Wasserstoff.
Auch die Forschung hinsichtlich der Auswirkungen freigesetzten Wasserstoffs auf die Atmosphäre müssen intensiviert werden. Denn eines darf nicht passieren: Dass die Abwendung von den fossilen Energieträgern hin zu einer Energiewirtschaft, die Wasserstoff als Energiespeicher nutzt, zu einer Verschlimmerung der Klimaerwärmung führt.
Zumindest auf den langen Transportstrecken, auf denen derzeit noch nahezu zu 100% Erdöl und Erdgas transportiert werden, kann die Gefahr von Wasserstoff-Leckagen durch Einsatz alternativer Wasserstoff-Speicher entgegengewirkt werden. So sind LOHC-Träger in der Diskussion – bei diesem Verfahren wird Wasserstoff in einen Thermalöl-Träger eingespeichert. Auch Metallhydrid war bereits eine potentielle Lösung für die Speicherung von Wasserstoff, ist aber wegen der hohen Kosten kaum mehr im Gespräch. Am aussichtsreichsten ist der Transport von Wasserstoff in Form von Ammoniak. Dieses Gas ist leicht zu verflüssigen und enthält dann einen höheren Energiegehalt wie flüssiger Wasserstoff. Ammoniak ist allerdings gut wasserlöslich und stark giftig für Wasserlebewesen – dieser Gefahr wird beim Bau neuer Schiffe für den Transport von Ammoniak durch entsprechende Sicherheitsmaßnahmen (IMO, International Maritime Organisation) Rechnung getragen werden müssen. Ein weiterer Ansatz ist regenerativ hergestelltes Methanol, dass in DMFC (Direktmethanol-Brennstoffzellen) zur Rückverstromung des eingespeicherten Wasserstoffs dienen kann.
Allen Lösungen gemeinsam ist die Vermeidung von Wasserstoff-Leckagen auf dem Transportweg.
Voraussichtlich wird zunächst die Nutzung grünen Wasserstoffs an zentralen Standorten der Chemischen Industrie oder Stahlherstellung verstärkt werden. Eine Vermeidung von diffus entweichendem Wasserstoff ist hier deutlich leichter umzusetzen wie bei Verteilnetzwerken z.B. an zahllose einzelnen Haushalte. Viele dieser Endabnehmer-Anwendungen werden voraussichtlich eher elektrifiziert werden. Die Diskussion um die Nutzung des enorm großen deutschen Erdgas-Netzwerkes für den Wasserstoff-Transport wird daher womöglich seiner Grundlage beraubt.
Noch ist es zu früh, ein abschließendes Fazit zu der Problematik „Entweichen von Wasserstoff in größeren Mengen in die Atmosphäre“ zu formulieren. Das Thema ist jedoch in der Fachwelt angekommen und wird dort deutlich beachtet.
© Gerald Friederici 01/2023