Noch immer wird der absolut größte Anteil von Wasserstoff durch die Dampfreformation von Erdgas erzeugt. Dieser graue Wasserstoff ist alles andere als klimaneutral. Die aktuell präferierte Methode für grünen Wasserstoff ist die Elektrolyse. Dabei spaltet regenerativ gewonnener Strom Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff auf. Ein Berliner Unternehmen geht einen anderen Weg.
Immer wieder gibt es Versuche, z.B. Meerwasser für die Elektrolyse zu verwenden. Das enthaltene Salz würde, ohne Zugabe weiterer Chemikalien, die für eine effiziente Elektrolyse notwendig Leitfähigkeit bereitstellen. Allerdings korrodiert Meerwasser sehr schnell die Elektroden und andere im Meerwasser enthaltene Bestandteile verringern schnell die verfügbare Kontaktoberfläche. Um diese Folgen zu vermeiden, verwendet man für Wasserelektrolyse überwiegend hochreines Wasser, dessen Bereitstellung (Filterung) die Effizienz des Verfahrens nochmals reduziert.
Einen ganz anderen Weg geht ein Unternehmen aus Berlin. Für dessen Verfahren ist eine Verschmutzung des Wassers geradezu eine Grundvoraussetzung. Graforce, 2012 von Dr. Jens Hanke gegründet, hat ein Verfahren entwickelt, mit dem die im Schmutzwasser vorhandenen organischen und nichtorganischen Verbindungen aufgebrochen werden können. Ein Beispiel für solch ein Schmutzwasser ist das nach der mechanischen Reinigungsstufe vorgereinigte Wasser in Kläranlagen. Durch das Verfahren von Graforce wird das noch hochbelastete Abwasser von diesen Fremdstoffen geklärt. Dabei entstehen neben Gasen wie Stickstoff und CO2 auch große Mengen Wasserstoff. Um diese Verfahrensentwicklung zur Marktreife weiterzuentwickeln, gründete Dr. Hanke 2022 zusätzlich die Firma Synreform. Graforce stellt die entsprechende Anlagentechnik zur Verfügung.
Schmutzwasser-Plasmalyse
Synreform nennt das Verfahren Schmutzwasser-Plasmalyse. Durch die Einkopplung von Energie (z.B. Gasentladung zwischen zwei Elektroden oder Hochenergieimpuls eines Lasers in Verbindung mit Plasmawellen; Laserkern GmbH, Plasmageneratoren) entsteht ein Plasma. Durch die hohe Energie der Teilchen im Plasma werden Moleküle im Abwasser aufgespalten. Zusätzlich entstehen Hydroxyl-Radikale, Ozon, UV-Licht und Wasserstoffperoxide. Sie oxidieren oder mineralisieren Schadstoffe. Das Verfahren ähnelt dem Effekt, den ein Blitz in der Atmosphäre erzeugt: Durch die hohe Energiedichte in dem Blitzkanal wird die Luft ionisiert und es bildet sich ein reaktives Plasma. In den Reaktoren von Synreform läuft diese Ionisation kontinuierlich ab.
Plasma, oft als "vierter Aggregatzustand" bezeichnet, spielt bei diesem Verfahren eine entscheidende Rolle. Durch die hohe Energie der Plasma-Teilchen werden die Moleküle im Abwasser aufgespalten und es entstehen neue Verbindungen, darunter Wasserstoff.
Plasmaentladungen sind gängige Verfahren in zahlreichen industriellen Bereichen. Im Lichtbogen-Schmelzofen erzeugt der aus ionisierter Luft bestehende Lichtbogen die für die Schmelze notwendig Temperatur. Dagegen erzeugen Hochspannungsfelder zwischen zwei isolierten Elektroden ein atmosphärisches Plasma, mit dessen Hilfe z.B. Oberflächen gereinigt oder aktiviert werden können (Verbesserung der Haftung von Beschichtungen auf Oberflächen). Im Hochvakuum dient das Lichtbogenplasma dazu, von einer Opferelektrode Metalle auf eine andere Oberfläche zu übertragen (zum Beispiel metallisierte Polyesterfolien für die Verpackung von feuchteempfindlichen Produkten und Lebensmitteln). Auch Verfahren wie das Einleiten von durch eine Plasmaentladung erzeugtem Ozon oder die Verwendung sehr energiereicher UV-Strahlen zur Reinigung und Desinfektion von Wasser werden bereits eingesetzt.
Synreform geht bei seinem Verfahren jedoch einen Schritt weiter. Die organischen Verbindungen, die konzentriert im Abwasser auftreten, werden als Wasserstoffquelle genutzt. Gerade Verbindungen wie Methan (Biogas) und Ammonium (NH4) können verglichen mit der Wasserelektrolyse leichter aufgespalten werden und dienen als Wasserstoff-Quelle. Synreform gibt einen um Faktor fünf geringeren Energieaufwand gegenüber der Wasserelektrolyse an – was den Preis für 1kg Wasserstoff auf einen Preis um drei Euro reduzieren soll. Ein weiterer Vorteil der Plasmalyse ist, dass die Plasmaquelle nicht in direktem Kontakt mit dem Schmutzwasser tritt und dadurch weniger anfällig für Korrosion ist.
Der gewonnene Wasserstoff kann z.B. Erdgas beigemengt und in Erdgas-betriebenen Fahrzeugen oder in Blockheizkraftwerken verwendet werden. Die Klimabilanz sieht dabei besser aus wie bei Verwendung von reinem fossilem Erdgas, da die aufgespaltenen Bestandteile in Abwässern meist organische Ursprung sind und damit dem aktuellen Kohlenstoffkreislauf entstammen.
Nicht nur für Kläranlagen ist dieses Verfahren interessant, denn auch flüssige Reste aus der Landwirtschaft, wie z.B. Gülle, können zur Herstellung von Wasserstoff genutzt werden. Der Ammonium-Gehalt ist in diesen Fällen oft noch deutlich höher, was die Wasserstoffausbeute pro eingesetzter Kilowattstunde verbessert. Auch in industriellen Anlagen können Abgase durch die elektrisch betriebene Plasmalyse in harmlosere Bestandteile aufgespalten werden. Neben Synreform gehen diesen Weg auch andere Unternehmen (z.B. Weihe GmbH mit dem Plasma-Rußpartikel-Reiniger für Dieselmotoren), was angesichts der zunehmenden Elektrifizierung zahlreicher Prozesse nur folgerichtig ist. Allerdings verbindet das Unternehmen Gracforce die Abgasreinigung mit der Gewinnung von Wasserstoff.
Besonders wirkungsvoll kann das Verfahren an Erdgas-Abfackelstationen eingesetzt werden. Statt das aus verschiedenen Gründen nicht nutzbare Methan und den unerwünschten, giftigen Schwefelwasserstoff zu verbrennen, kann der reichlich enthaltene Wasserstoff abgespalten und aufgefangen werden. Der elementar anfallende Kohlenstoff und der Schwefel können in anderen Prozessen eingesetzt werden (Kohlenstoff z.B. in Zement, was den Kohlenstoff für längere Zeit aus dem atmosphärischen Kreislauf entfernt).
Vor einigen Jahren wäre die Gewinnung von Wasserstoff aus Abwässern und Abgasen mittels Plasmatechnik noch eine exotische Idee gewesen. Angesichts der niedrigen Preise für Erdgas und für den daraus hergestellten grauen Wasserstoff waren andere Verfahren nicht konkurrenzfähig. Doch inzwischen ist die Suche nach kostengünstigen Gewinnungsverfahren von grünem Wasserstoff zu einem Wettrennen zahlreicher Nationen auf der Welt geworden. Klimaneutralität bis 2050 ist dabei nur ein Antrieb, Endlichkeit der fossilen Rohstoffe und die in manchen Ballungsgebieten unerträgliche Luftverschmutzung fordern Lösungen, die zügig umsetzbar sind.
Noch befindet sich das Geschäft im Aufbau. Erste kleinere Referenzanlagen werden zusammen mit internationalen Partnern vor allem an einigen Klärwerkstandorten installiert. Parallel wurde im Verbundvorhaben „CombiFuel“ (Projektträger Forschungszentrum Jülich, LZ Jan. 2019 – Juni 2022) die Möglichkeit erforscht, einen strombasierten gasförmigen Treibstoff (Wasserstoffbeimengung zu Erdgas, HCNG-Kraftstoff) als Brückentechnologie zur Verfügung zu stellen. Dieser Treibstoff ist klimaneutraler wie ein Verbrennungsmotor, der mit reinem Erdgas betrieben wird und könnte günstiger hergestellt werden wie mit Wasserstoff aus der Wasserelektrolyse (deutlich geringerer Energieeinsatz notwendig).
Das Technologieunternehmen Synreform GmbH (https://www.synreform.com/) ist ein Beispiel dafür, dass Innovation, ein gehöriges Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, Chancen zu erkennen, zu einem erfolgreichen Unternehmertum dazu gehören. Ob die hier entwickelte Technologie einen „Durchbruch“ erfährt, wird man jedoch erst in ein paar Jahren sicher wissen. Die Bestrebung vieler Länder, klimaneutral zu werden, fördert jedoch solche Entwicklungen massiv.