Über 100 Jahre ist es her, dass elektrisch angetriebene Fahrzeuge schon einmal eine Hochzeit feierten. Doch spätestens ab 1910 verdrängte der Verbrenner-Motor den Elektroantrieb durch seine enorme Reichweite.
Heute besinnt man sich unter dem Eindruck einer sich rasch wandelnden Umwelt wieder der Vorteile des Elektroantriebs: lokal ist dieser emissionsfrei. Für eine hohe Akzeptanz von Elektro-Fahrzeugen ist unter anderem der Preis entscheidend. Um diesen zu reduzieren bedarf es etlicher Optimierungsschritte. Einer ist die Verwendung immer höherer Spannungsniveaus.
Bekanntermaßen ergibt sich die am Antriebspunkt erzielbare Leistung bei einem Elektroantrieb aus dem Produkt von Spannung und Stromstärke. Will man also die von den Reifen auf die Strasse übertragene Leistung steigern, hat man vor allem zwei Stellschrauben: man erhöht den Strom, mit dem die Elektromotoren angetrieben werden oder die Spannung.
Da der Strom in einem Vollleiter nicht beliebig erhöht werden kann (Stromverdrängungseffekt), kann man auf Litzen zurückgreifen. Diese teilen den Strom auf in viele kleinere Teilströme, die durch die einzelnen Adern fließen. So oder so wird ein Punkt erreicht, ab dem die Zunahme des benötigten Bauraums, aber vor allem die Zunahme an Gewicht ein Problem darstellen. Für hohe Ströme braucht man große Kupferleiter-Querschnitte.
Dieser Zusammenhang trieb bereits vor 20 Jahren die Entwicklung des 48V Niveaus in Fahrzeugen voran. Milde Anfahrhilfen oder Kurzstrecken-E-Antriebe werden heute zum Teil mit diesem unproblematischen Spannungsniveau realisiert (MHEV). Der große Vorteil: es sind keine aufwändigen Berührungsschutzmaßnahmen notwendig, da es sich um eine gefahrlose Kleinspannung handelt.
Doch leistungsstärkere Antriebe lassen sich nur mit höheren Spannungsebenen realisieren. Zwischen 250…350 V lagen die ersten Lösungen für hybride- oder vollelektrische Antriebe. Verbesserungen bei der Leistungselektronik ermöglichten bald aber auch Spannungsniveaus bis 450…500 V. Denn nicht die Spannungsbelastbarkeit anderer, passiver Bauteile begrenzt den Einsatz höherer Spannungen (und damit geringerer Leiterquerschnitte), sondern die Spannungsfestigkeit der elektronischen Schalter, vor allem der häufig eingesetzten IGBT-Transistoren.
Noch immer dominieren Silizium-basierende Transistoren den Markt der Leistungstransistoren, doch neue Materialien wie SiC oder GaN bieten Vorteile. Ihr hoher Preis verhindert bislang ihren massenhaften Einsatz. Doch mit steigenden Stückzahlen elektrisch angetriebener Fahrzeuge wird auch der Skalierungseffekt bei der Produktion dieser Halbleiter den Preis drücken.
Wesentliche Vorteile sind bei diesen „neuen“ Halbleitern die Möglichkeit, höhere Spannungen mit höheren Frequenzen bei gleichzeitig geringeren Durchgangswiderständen zu schalten. Dies prädestiniert sie für den Einsatz im Power-Train von Elektrofahrzeugen. Mit der Einführung einer 1.200 V Variante u.a. durch Infineon (gut ein Viertel des Weltmarktes für Leistungstransistoren wird von dem Unternehmen aus Neubiberg geliefert) oder Semikron ist der Weg frei für Anwendungen in den Spannungsebenen 800 V (Tycan, Porsche) oder zukünftig in Schwerlastfahrzeugen (LKW, Truck, Landwirtschaft, Schienenverkehr) bei 1.200 VDC.
Doch die neuen Leistungsschalter bringen auch neue Probleme mit sich. Die hohe Schaltfrequenz bei hohen Spannungunterschieden (dU/dt) sowie die Konzentration großer Leistung auf immer kleineren Raum belasten die verwendeten Isolationsmaterialien erheblich. Obwohl Leistungsschalter bereits seit langer Zeit in Anwendungen wie der Windenergie, in Solarparks oder Energiespeichersystemen (USV) eingesetzt werden, zwingt der beschränkte Bauraum die Automobilindustrie dazu, das Maximum an Leistung in immer kleineren Gehäusen unterzubringen. Nur ein hervorragendes Wärmemanagement erlaubt dann noch die volle Nutzung der Vorteile.
Ein nicht zu unterschätzendes Phänomen ergibt sich aus den gestiegenen Schaltfrequenzen. Diese machen zwar zum Beispiel kleinere induktive Komponenten mit geringeren elektrischen Verlusten möglich. So arbeiten AC/DC Konvertern, internen DC/DC Wandlern und die Motoransteuerungen deutlich im Bereich von 97 % bis knapp 99 % Effizienz in immer kleiner werdenden Bauräumen.
Doch die hohen Schaltfrequenzen bei hohen Schaltspannungen erzeugen ein hochfrequentes elektromagnetisches Feld.
Der Frequenzumrichter wird auf diese Weise schnell zu einem „Radiosender“. Metallene Gehäuse und mehrfach geschirmte Kabel schützen vor nicht drahtgebundenen Störungen und Filter unterdrücken leitungsgebundene Effekte. Isolationsmaterialien in diese Bauteile werden wie die Eingänge der Elektromotoren durch die schnelle und häufigen Umschaltvorgänge besonders stark belastet. So sind hier am ehesten Teilentladungsproblematiken zu erwarten.
Daneben werden Isolierstoffe in Fahrzeugen auch durch weitere Belastungen schneller gealtert wie in stationären Anwendungen. Wobei Alterung in den meisten Fällen bedeutet, dass die Isoliereigenschaften sich verschlechtern.
Neben dem Hauptverursacher von Alterung, der Temperatur, kommen Vibrationen, mechanische Druckbelastung, Betriebsstoffe, Bewitterung und eventuell sogar UV-Strahlung hinzu. Der elektrische Stress hoher Wechselfrequenzen äußert sich durch eine innere Erwärmung organischer Isolatoren und thermischer Mismatch kann wegen unterschiedlicher Ausdehnungskoeffizienten zu Delaminationen führen.
Ein zunächst im Ausgangstest gutes Isolationsmaterial kann während der Betriebsdauer einen beträchtlichen Teil seiner elektrischen Isolationsfähigkeit verlieren. Bei Spannungen über 450V ist auch der Einfluß des Luftdrucks und der geometrischen Ausführung von Leitern spürbar. Mit sinkendem Druck verliert die Luftstrecke ihre Isolationsfestigkeit und scharfe Kanten oder gar spitze Enden führen zu einer Konzentration des elektrischen Feldes, die Isolationsstrecken stärker belasten. Solche Stellen sind dann besonders anfällig für oberflächliche Verschmutzungen, die zu der Ausbildung einer Kriechstrecke führen können.
Kein Produkt und keine Produktion ist immer perfekt. So können entweder durch das Material selbst oder den Verarbeitungsprozess zusätzlich Angriffspunkte entstehen, die bei höher werdender Betriebsspannung immer bedeutender werden. So ist bei Vergußmassen und Tränkharzen wichtig, dass sie möglichst blasenfrei verarbeitet werden. Denn Blasen im Verguss sind wie Delaminationen bei Mehrschichtprodukten der Ausgangspunkt für Teilentladungen, denn die Gas(Luft)-Strecke hat eine geringere Durchschlagsfestigkeit wie das umgebende Isolationsmaterial.
Bei Spannungen jenseits der Niederspannungsrichtlinie (1000 VAC und 1500VDC) wird die Lage auch aus Sicht der Normung noch diffiziler. Doch noch ist man nicht so weit und derzeit scheint eine Spannung von 1200 VDC auch für große Zugmaschinen (z.B. LKW`s von Nicola) und andere Schwerlastfahrzeuge und Kräne ausreichend zu sein. Denn schlussendlich bedeuten so hohe Spannungen auch ein sehr hohes Maß an Sicherheit und erfordern speziell geschultes Personal.
(© Gerald Friederici, 09.2020)
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