Das Megawatt Charging System (MCS) ist eine relativ junge Entwicklung im Bereich der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge. Im Gegensatz zu z.B. CCS (combined charging system) ist MCS insbesondere für schwere Nutzfahrzeuge gedacht. Es bietet mit einer Ladeleistung bis 3,75 MW für diesen Bereich entscheidende Vorteile.
2015 startete mit den Gründungsmitgliedern Opel, Phoenix Contact, Daimler, Mennekes, Audi, BMW, Porsche und Volkswagen sowie TÜV Süd der Verein CharIN e.V. (Charging Interface Initiative) die Entwicklung von Standards für stärkeren Ladestation. Später hinzu kamen Tesla Motors, MAN und Volvo. Im Jahr 2024 hat der Verein bereits über 300 Mitglieder.
2018 gründete sich eine Task Force (HPCCV, High Power Charging for Commercial Vehicle) innerhalb von CharIN (Charging Interface Initiative e.V.) mit dem Ziel, einen neuen Hochleistungs-Ladesystemstandard für kommerzielle Fahrzeuge zu entwickeln. Bereits zwei Jahre später gab es erfolgreiche Tests von Prototyp-Steckverbindungen für mittlere und schwere Elektrofahrzeuge am National Renewable Energy Laboratory (NREL). 2022 demonstrierten ABB E-mobility und MAN Truck & Bus mit 800 V und 1250 A Ladeleistung erstmals das Megawatt-Laden im realen Betrieb.
Noch ist der MCS (Megawatt Charging System) - Standard nicht endgültig normiert. Einer der Knackpunkte ist die Störfestigkeit des Kommunikationsbus (PLC) zwischen Ladestation und Fahrzeug. Bei einer maximalen Ladespannung von bis zu 1250 VDC fließen bei Maximalleistung 3.000 A durch das Ladekabel und das Stecksystem – aus EMV-Sicht eine enorme Störquelle für kleine Signalleitungen. Ein weiterer Punkt ist die Definition einer einheitlichen Anordnung des Ladeanschlusses auf einer Seite des Fahrzeugs. Steckersysteme für 1 MW und mehr Ladeleistung werden per Roboterarm zugeführt werden müssen. Für solche Ladestationen braucht es eine eindeutige Festlegung der Position des Ladeanschlusses am Fahrzeug.Dass der MCS Standard eine gute Chance hat, in die ISO und IEC Normenwelt aufgenommen zu werden, zeigt der Verzicht im Jahr 2022 auf die Entwicklung eines eigenen Standards für elektrifizierte Luftfahrzeuge . Seitdem setzt man auch z.B. bei Lilium auf den MCS-Standard.
Die Entwicklung der Firma Paxos mit einem Ladestecker-System bis zu 8000 A zeigt, dass der Bedarf für noch größere Ladeströme vorhanden ist. Doch dies sind dann Steckverbindungen, die nur noch automatisiert und vollständig mechanisiert (Roboter) verwendet werden können. Sie sind für Schnelladesystem z.B. für große Muldenkipper in Übertagebergwerken oder für Fähren gedacht. In Norwegen liefert der „FerryCharger (Wabtec)“ bereits bis zu 5 MW Ladeleistung bei 1000 VDC, um Autofähren innerhalb der Anlegezeit mit ausreichend Energie für die nächste Fährfahrt zu versorgen – oder nutzt gleich die Mittelspannungsebene bei 15 kV.
Der MCS Standard richtet sich vor allem an die Schwerlastindustrie (Class 6, 7 und 8). Die endgültige Normierung eines entsprechenden Steckers und der Kommunikation Ladestation-Fahrzeug ist ein Aspekt. Doch längst geht es auch um den Aufbau einer grundlegenden Infrastruktur entlang der bedeutendsten Transportwege (Autobahnen). Erst dann können Kunden von z.B. Daimler Truck, Volvo oder MAN das steigende Angebot an elektrisch angetriebenen LKW`s auch auf der Langstrecke sinnvoll nutzen. Ein erster Lade-Korridor entsteht im Rahmen des Projekts „HoLa“ entlang der A2 zwischen Berlin und Duisburg. Vier Hochleistungs-Ladeparks (HoLa) mit zunächst 750 kW Ladeleistung sind bis Anfang 2025 geplant.
Wie beim Projekt „HoLa“ untersucht man auch beim Forschungsvorhaben „NEFTON“ unter Beteiligung des Fraunhofer ISE, MAN, AVL, der TH Deggendorf und TU München sowie Prettl Electronics Automotive den praktischen Einsatz des MCS-Systems und sammelt Erfahrungen für die Weiterentwicklung der Technik, aber auch der realen Abläufe beim Laden und die Integration in Logistikprozesse.
Im Frühjahr Im März 2024 zeigte man im bayerischen Platting am Beispiel eines MAN-LKW erstmals öffentlich das Laden eines 40-Tonners. Binnen 30 Minuten konnten die Fahrzeugbatterien bei 1.500 Ampere an einer ABB Ladestation so weit aufgeladen werden, dass der LKW wieder eine Reichweite von 400 km hatte. Im April 2024 zeigte auch Siemens Smart Infrastructure die erfolgreiche 1 MW-Ladung eines Fernlast-LKW`s. Für das Laden gibt dabei die alle 4,5 Stunden vorgeschriebene 45-minütige Lenkpause die verfügbare Zeit für das Laden vor. Und die 400 km leiten sich von der erzielbaren Entfernung ab, die innerhalb der 4,5 Stunden gefahren werden kann: etwa 360 km. Damit ist die Energiemenge, die in den ca. 30 Minuten zugeladen werden muss, recht genau definiert.
Gegenüber Brennstoffzellen-Antrieben oder gar E-Fuels haben Batterien einen wesentlichen Effizienz-Vorteil. Die mit jeder Batteriegeneration höhere Energiedichte (Gespeicherte Energie vers. Gewicht der Batterie) wirkt zusätzlich dem Vorwurf entgegen, dass die schweren Batterien die maximale Zuladung erheblich reduzieren. Zudem wird grüner Wasserstoff in sehr großen Mengen in anderen Industriebereichen (Dünger, Eisenverhüttung) benötigt und bleibt auf Sicht ein eher rares Gut für den Strassenverkehr.
Die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur hat im Oktober 2022 eine Planung zum Ausbau der LKW-Ladestationen auf Fernstrecken Ladestationen (https://nationale-leitstelle.de/wp-content/uploads/2023/04/20230419_Masterplan-Ladeinfrastruktur-II-der-Bundesregierung_barrierefrei.pdf) herausgegeben. Mit beteiligt sind die Unternehmen Daimler Truck, MAN, Scania und Volvo. Bis 2027 soll der Aufbau von drei Ladeparks an Autobahnknotenpunkten mit MCS-HPC-Ladepunkten als Starthilfe für eine Kernnetz an MCS-Ladestationen erfolgen. Es ist klar, dass auch im Schwerlast-Fernverkehr eine Antriebswende nur erreicht werden kann, wenn Speditionen planbar ihre E-LKW`s laden können. Und dies in einer überschaubaren Zeitspanne.
Im Rahmen von Horizon Europa sollen zudem entlang der Trans-European Transport Network (TEN-T)-Strecken weitere Prototypen von Ladestationen entstehen. Auch einzelne Unternehmen (u.a. MAN zusammen mit E.ON) bauen das Ladenetz für LKW`s aus. Verwendet wird zunächst der bewährte CCS-Standard, der gekühlt auch für >350 kW Ladeleistung ausgelegt ist, jedoch mit der Option auf eine Umrüstung auf MCS.
Die Europäische Union hat mit ihrer Verordnung über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR – Verordnung 2023/1804) ebenfalls Mindestanforderungen an Schnelladenetze für Batterieelektrische LKWs aufgestellt. Ab 2030 sollen im Kernnetz alle 60 km und im Gesamtnetz alle 100 km Ladepunkte mit mind. 350kW Ladeleistung zur Verfügung stehen. Im Positionspapier "Zukünftige Antriebstechnologien" des VDA aus 2022 geht man über diese Verordnung sogar hinaus und fordert Ladepunkte mit bis zu 1,2 MW bei einer Gesamtladekapazität von 6,5 MW im Kernnetz pro Ladestation. Wie weit das von den 27+ Mitgliedsstaaten umgesetzt werden kann und wird, bleibt abzuwarten.
Nicht unerwähnt bleiben dürfen natürlich weitere Entwicklung weltweit, die ebenfalls in die Richtung der Megawatt-Ladeleistung gehen. CHAdeMO ist ein japanisch-chinesischer Standard für Nutzfahrzeuge bis 1MW und auch der TESLA Supercharger Stecker soll auf über 600 A bei 1.000 V aufgebohrt werden.
Unternehmen wie der Hersteller Stäubli bieten bereits den MCS-Stecker an. Doch weder das steigende Angebot an Schwerlast-Fahrzeugen mit der Möglichkeit zur Megawatt-Ladeleistung noch ein fertig normierter Standard für Stecker/Buchsen-Kombinationen werden die Verkehrswende im Güterverkehr herbeiführen. Erst eine ausreichende Anzahl an Schnellade-Punkten und die ausreichende Verfügbarkeit von großen Mengen regenerativ produzierten Stroms werden einen signifikanten Einfluss auf die CO2-Emission der LKW-Flotte in Europa haben. Die Herstellervereinigung ACEA (European Automobile Manufacturer`s Association) schätzt den Bedarf an Ladepunkten mit hoher Ladeleistung (>350 kW) auf 10-15 Tausend europaweit im Jahr 2025 und über 40 Tausend im Jahr 2030. Allerdings sind dies Maximalforderungen, denen eine im Moment sehr kleine Flotte elektrisch angetriebener Langstrecken-LKW`s (BETs, batterieelektrische Lastkraftwagen) gegenüberstehen.
Der Fernverkehr ist für etwa 25% der Treibhausgasemissionen des Verkehrs in der EU verantwortlich. Die Entwicklung eines einheitlichen MCS-Steckersystems mit der entsprechenden Ladeinfrastruktur ist daher ein wichtiger Baustein auf dem Weg zum Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein.
Für Techniker: die folgenden Normen werden von CharIN als relevant für die Entwicklung des MCS-Standards angesehen.
Die Normen spiegeln die elektrotechnische Herausforderungen bei bis zu 1250 V Gleichspannung wieder. Diese Spannungsebene bietet zwar Vorteile wie höhere übertragbare Leistung und geringere Verluste, erfordert jedoch eine sorgfältige Betrachtung und Bewältigung spezifischer elektrotechnischer Aspekte.
@ Gerald Friederici 07/24