Vergleicht man die Spannungsfestigkeit von Luft und die von üblichen Isolationsmaterialien, so stellt man schnell fest, dass Luft eigentlich ein schlechter Isolator ist. Vor allem dann, wenn man sich deutlich über den Bereich der Teilentladungseinsetzspannung von etwa 500 V hinaus bewegt. Das hat Auswirkungen auf die Auslegung von Elektronik in Hochvolt-Elektrofahrzeugen.
Jeder Isolator hat eine bestimmte Spannung, bei der er bei definierter Stärke im Einfluss des E-Feldes durchschlägt. Bekanntestes Durchbruch-Ereignis ist der Blitz bei einem Gewitter. Die Isolationsfähigkeit der Luftstrecke zwischen Erde und Wolke ist nicht mehr ausreichend und der Ladungsausgleich erfolgt schlagartig und sehr deutlich sicht- und hörbar.
Dieses Ereignis gilt es natürlich für den sicheren Betrieb einer Hochvolt-Topologie zu vermeiden. Diverse Normen wie die IEC 62196 (Steckverbindungen für Leichtelektrofahrzeuge) definieren daher Materialeigenschaften sowie Abstände und Materialstärken, um einen Elektrischen Durchschlag zu verhindern.
Doch nicht alle Bereiche des Antriebstranges lassen sich per spezifische Norm sicherheitsorientiert standardisieren. Und so kommt dem Wissen um die spezifischen Probleme von Kreisspannungen über 600V eine erhebliche Bedeutung zu. Basisnormen wie die Isolationskoordination nach DIN EN 60664 geben Anhalte und Vorgaben in Bezug auf Luft- und Kriechstrecken sowie Materialeigenschaften an, aber wo liegt der Zusammenhang?
Wie bereits angedeutet ist Luft ein relativ schlechter Isolator (ca. 3 kV/mm; Paschengesetz, Luftfeuchtigkeit) gegenüber zum Beispiel Polyimid (ca. 300kV/mm). Das führt dazu, dass an den Übergängen von dem Isolationswerkstoff zur Luft die Isolationsfestigkeit drastisch absinkt.
Die Grundnorm DIN EN 60664 gibt daher insbesondere für isolierenden Luftstrecken Mindestabstände vor, die erheblich größer sind wie die Materialstärken (z.B. IEC 61558, dti – distance through insulation).
Da oberhalb von etwa 500V auch Teildurchschläge in die Luft erfolgen können, kommt jedoch auch dem zur Isolation verwendeten Material eine wichtige Bedeutung zu.
Die sogenannten Gleitentladungen, also Teildurchschläge (Partial Discharge; die sich im E-Feld ausbildende Ladungslawine wird auf einer Teilstrecke wieder soweit abgebremst, dass keine vollständige Ionisierung der Isolationsstrecke und damit kein kompletter Durchschlag erfolgt) in der Luft über der Oberfläche von Isolationswerkstoffen erzeugen unter anderem UV-Licht, Erwärmung und Ozon. Diese Folgen der Teilentladungen zerstören mit der Zeit die Oberfläche des Isolators und erzeugen Leitungspfade (Treeing, auch innerhalb fehlerbehafteten Werkstoffe wie Vergüsse mit Mikroblasen). Die Ausbildung dieser Leitungspfade wird durch Luftfeuchtigkeit und Verschmutzung (z.B. Staub) begünstigt. Außerdem reagieren unterschiedliche Werkstoffe auf verschiedene Weise auf diese Belastung. Zur Charakterisierung dieser Unterschiede dient der cti-Wert.
Der cti-Wert ist ein messtechnisch ermittelter Wert, der die Fähigkeit eines Isolationsmaterials beschreibt, der Erosion durch Gleitentladungen zu widerstehen. Wie stark also die Karbonisierung der Oberfläche den Werkstoff in seiner Isolationsfähigkeit beeinträchtigt.
Darum findet man neben der Angabe für einzuhaltende Luftstrecken bei einer bestimmten Spannung auch stets Forderungen zu dem Verschmutzungsgrad (Sauberkeit der Isolationsumgebung) und dem cti-Wert.
Umso höher die Spannung, desto stärker ist der Einfluss der schlechten Isolationsfähigkeit von Luft in den elektrischen und elektronischen Einrichtungen eines Hochvolt-Netzwerks. Zwar hilft geometrisch gesehen Abstand sehr erfolgreich, die Folgen der höheren Feldstärke zu mindern. Aber in kompakten Geräten ist genau das Mangelware: Platz!
Außerdem beeinflusst die Form des Spannungsverlaufs die Geschwindigkeit der Degradation deutlich: Gleichstrom belastet die Luftstrecke und den Isolationswerkstoff weniger wie niederfrequente Sinuswellen und diese wiederum weitaus weniger wie hochfrequente Rechteckimpulse.
Deswegen ist die richtige Auswahl von Isolationsmaterialien, ihre korrekte Verwendung und die optimale Kombination z.B. mit Isolationslacken oder Vergussmassen ein nicht unerheblicher Teil des Erfolges bei der Herstellung eines marktfähigen Gerätes. Mittlerweile gibt es weitergehende Informationen, die nicht aus der Hochspannungstechnik >>15 kV stammen sowie Kongresse und Seminare, die sich mit diesem Themenkreis beschäftigen.
© 03/2019Gerald Friederici