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Die IEC 60505 – Grundnorm zur Bewertung der Alterung von elektrischen Isoliersystemen

Die IEC 60505 ist im Bereich der elektrischen Isoliersysteme (EIS) ebenso grundlegend wie die IEC 60664 für Niederspannungsanwendungen. Diese Norm bildet die Basis für die Bewertung und Qualifizierung von Isoliersystemen und wird oft in speziellen Gerätenormen angewendet. Während die IEC 60664 als Isolationskoordinations-Grundnorm vorrangig das Verhalten von Isoliermaterialien unter Umwelteinflüssen untersucht, betrachtet die IEC 60505 komplette Isoliersysteme, die aus verschiedenen Materialien bestehen und nur als Gesamtheit bewertet werden können, da Wechselwirkungen zwischen den Materialien auftreten können.

In der IEC 60505 mit dem Titel „Evaluation and Qualification of Electrical Insulation Systems“ wird die Bedeutung der Norm wie folgt beschrieben: „Die Lebensdauer von Elektroisoliersystemen (EIS) oder -komponenten bestimmt häufig die Lebensdauer elektrischer Geräte und wird durch elektrische, thermische, mechanische oder umweltbedingte Belastungen beeinflusst, die einzeln oder in Kombination auftreten können.“

Ein zentrales Ziel der Norm ist die Bestimmung der Lebensdauer von Isoliersystemen, da diese eine wesentliche Rolle bei deren Klassifizierung spielt. Die Norm bietet Methoden zur Entwicklung von Prüf- und Bewertungsverfahren für diese Systeme an. Belastungsfaktoren werden dabei in vier Hauptkategorien unterteilt: elektrische, thermische, mechanische und umweltbedingte Alterung. Ein prominenter Mechanismus ist die thermische Alterung, bei der die Faustregel gilt: Eine Erhöhung der Temperatur um 10 Grad halbiert die Lebensdauer. Diese Regel beruht auf dem Arrheniussatz, der den Zusammenhang zwischen Reaktionsgeschwindigkeit und Temperatur beschreibt.

Es ist jedoch zu beachten, dass thermische Belastungen heute nur einen Teil der Alterungsprozesse in Isoliersystemen darstellen. Weitere Alterungsmechanismen, die in der Norm berücksichtigt werden, umfassen:

Faktoren der Alterung laut IEC 60505:

  • Fertigungsfehler: Verunreinigungen, Lufteinschlüsse, Rezepturfehler, Falten, Delaminationen, Feuchtigkeit, Inkompatibilitäten, Partikel, Brüche etc.

  • Thermische Alterung:

    • Unterschiede bei der Wärmeausdehnung (z.B. Delamination)
    • Schmelzen, Übergang der Glastemperatur, Erweichung, Versprödung
    • Eigenerwärmung durch elektrischen Stress
    • Oxidation und Rissbildung
  • Elektrische Alterung:

    • Oberflächenentladungen (Partial Discharge, Corona)
    • Tracking und Erosion
    • Raumladungsaufbau, der die Spannungsfestigkeit reduziert
    • Electric Treeing (z.B. Watertreeing)
    • Elektrochemischer Abbau (Migration, Depolymerisation)
    • Elektrische Verluste bei hohen Frequenzen
  • Umweltbedingte Alterung:

    • Chemische Belastungen durch Lösemittel, Öle, Hydrolyse
    • Kontaktkorrosion
    • Feuchtigkeitsaufnahme (verringerte Isolation, Treeing, Partial Discharge)
    • Verschmutzung auf der Oberfläche (Tracking)
    • Depolymerisation in aggressiver Umgebung
    • UV-Strahlung, Bewitterung
  • Mechanische Alterung:

    • Vibration, Dehnung, Stauchung, Delamination, Druck
    • Haftungsverlust bei Verklebungen
    • Bruch und Risse durch mechanische Einwirkung
    • Kriechen unter Last
    • Durchdringung (z.B. Metallspäne)
    • oAbrieb

Zusätzlich zu den beschriebenen Alterungsmechanismen behandelt die Norm auch Testmethoden und die Bewertung der Ergebnisse. Der ausführliche Anhang der Norm bietet zahlreiche nützliche Hinweise und Empfehlungen.

Gerade im Bereich der Entwicklung von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen ist die Norm hilfreich, denn Elektrische Fahrzeuge (EVs) und ihre Komponenten sind im Betrieb besonderen Belastungen ausgesetzt:

  • Höhere Spannungen: Im Vergleich zu herkömmlichen Verbrennungsmotoren arbeiten Elektrofahrzeuge mit wesentlich höheren Spannungen im Bereich von 400 bis 800 Volt oder mehr.

  • Erhöhte Temperaturen: Elektromotoren, Batterien und Leistungselektronik erzeugen während des Betriebs Wärme, die zu einer thermischen Belastung der Isoliersysteme führt. Die IEC 60505 hilft hier, Prüfmethoden zur Bewertung der thermischen Stabilität und Langlebigkeit der Isolierung unter diesen Bedingungen zu definieren.

  • Umweltbelastungen: Elektrofahrzeuge sind ständigen Umweltbelastungen wie Feuchtigkeit, Korrosion, UV-Strahlung und extremen Temperaturschwankungen ausgesetzt. Auch diese externen Einflüsse beeinflussen die Lebensdauer und Zuverlässigkeit der Isoliersysteme, was die Notwendigkeit präziser Testmethoden verstärkt.

Für EV-Entwickler ermöglicht die Kenntnis dieser Grundnorm eine zuverlässige Designentscheidungen, denn die Ergebnisse der Prüfungen nach IEC 60505 bieten eine fundierte Grundlage, um die richtigen Materialien für Isoliersysteme auszuwählen. Die Norm trägt dabei auch zu einer verbesserten Sicherheit bei, denn durch die präzise Ermittlung der Isolationsqualität werden potenzielle Gefahren, wie Kurzschlüsse oder Materialversagen, frühzeitig erkannt. Die Alterungsmechanismen, die in der Norm beschrieben sind, helfen dabei, die Lebensdauer von Isoliersystemen unter realen Bedingungen abzuschätzen. Dies verlängert die Lebensdauer kritischer Komponenten und reduziert das Risiko von Ausfällen.

Wichtige Normen, auf die sich die IEC 60505:2011 bezieht, sind:

  • IEC 60068: Umwelttestmethoden (z.B. für Wärme, Kälte, Temperaturwechselzyklen)

  • IEC 60216: Bestimmung der Wärmeklassen von Elektroisolierwerkstoffen

  • IEC 60112: Verfahren zur Bestimmung der Prüfzahl und der Vergleichszahl der Kriechwegbildung von festen Isolierstoffen

  • IEC 60664: Basisnorm für die Isolationskoordination

Die Ausgabe von 2011 der IEC 60505 deckt allerdings einige der neu aufgekommenden Herausforderungen, wie die zunehmende Verwendung von Gleichstromtechnik mit hohen Spannungen und den Einfluss von hohen Schaltfrequenzen, nicht vollständig ab. Diese Faktoren sind jedoch in der Elektromobilität äußerst relevant, da z.B. moderne Frequenzumrichter (Antrieb, Ladeinfrastruktur)  mit immer höhere Frequenzen und Spannungen betrieben werden. Eine Überarbeitung der Norm, die diese neuen Entwicklungen berücksichtigt, ist daher dringend erforderlich.

Mit der steigenden Verbreitung von Elektrofahrzeugen und den wachsenden technologischen Anforderungen wird diese Grundnorm auch in Zukunft eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung sicherer und langlebiger E-Fahrzeuge und anderer elektrotechnischer Einrichtungen spielen. Hersteller und Entwickler sind gut beraten, die IEC 60505 in ihren Entwicklungsprozessen zu berücksichtigen und deren zukünftige Anpassungen genau im Blick zu behalten.

Ein weiterführender Einstieg in das Thema "Frequenzabhängigkeit von Isolationswerkstoffen" ist der UL-Guide „Effects of High Frequency Voltage Stress on Air Insulation and Solid Insulation“ aus dem Jahr 2010.

Arbeitsgruppen:
MT 3 (TC109):  Prüfung der Hochfrequenzspannungsbeanspruchung

TC 112: IEC 60505 (Evaluation and Qualification of Electrical Insulation Systems)