Das Kürzel ECM bezeichnete eine weniger bekannte Beeinträchtigungen der Zuverlässigkeit und Langlebigkeit elektrischer Baugruppen. Bislang trat das Phänomen eher bei eng beieinander liegenden Leiterbahnen auf gedruckten Platinen auf. Doch die höheren Spannungen in der Elektromobilität und z.B. den Heimspeichern machen ECM auch bei größeren Distanzen zu einem Problem.
Mit ECM (Elektrochemische Migration) bezeichnet man ein Phänomen, bei dem sich Metallionen unter dem Einfluss eines elektrischen Feldes von einem Leiter zum anderen bewegen. Dies kann zur Bildung von metallischen Brücken führen. Typische Fehlerbilder sind Funktionsstörungen (Betriebsgrenzen werden wegen zu geringerem Isolationswiderstand überschritten), Kurzschlüsse und der Ausfall elektrischer/elektronischer Baugruppen. Im schlimmsten Fall kann es durch den Stromfluss zu einer Verkohlung des Polymermaterials kommen mit Brandgefahr.
Besonders Geräte und Einrichtungen im Außenbereich sind betroffen
Voraussetzung für ECM ist die Anwesenheit von Feuchte (absorbierte Feuchtigkeit in z.B. Polymeren oder sogar Betauung). Besonders Tag-/Nachtzyklen mit ihren erheblichen Temperaturunterschieden können zur lokalen Erhöhung der Luftfeuchtigkeit führen (z.B. stark abgekühltes Metall in feuchtwarmer Luft). Zusätzlich begünstigt eine Spannungsdifferenz die elektrochemische Migration umso mehr, desto höher sie ist. Für die korrosive Wirkung reicht bereits eine noch merklich unter dem Taupunkt liegende Luftfeuchtigkeit (auf Metallen reichen bereits 60-70% Luftfeuchtigkeit) aus. Neben bestimmten Polymeren, die viel Feuchtigkeit aufnehmen können (Polyamid), sind es vor allem Fertigungsrückstände (z.B. Lotflußmittel, Staub, Abrieb, Trennmittel), die bei hoher Luftfeuchtigkeit eine leitfähige Verbindung in Form von Kriechströmen zwischen Stromleitern unterschiedlichen Polaritäten erzeugen. Diese hygroskopisch wirkenden Rückstände verringern zudem die rasche Rücktrocknung von Polymeren, da sie als Feuchtespeicher wirken.
Kurz zusammengefasst
Was ist ECM?
Elektrochemische Migration (ECM) ist ein Phänomen, bei dem sich Metallionen unter dem Einfluss eines elektrischen Feldes von einem Leiter zum anderen bewegen. Dies kann zur Bildung von metallischen Brücken führen, die zu Funktionsstörungen, Kurzschlüssen und dem Ausfall elektrischer/elektronischer Baugruppen führen können.
Voraussetzungen für ECM
ECM tritt auf, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
Maßnahmen gegen ECM
ECM kann durch folgende Maßnahmen verhindert werden:
Fazit
ECM ist ein ernstzunehmendes Problem, das zu Ausfällen von elektrischen/elektronischen Baugruppen führen kann. Es ist wichtig, die Voraussetzungen für ECM zu kennen und Maßnahmen zu ergreifen, um ECM zu verhindern.
Wie ECM entsteht
Bei ausreichender Feuchte kommt es zu einer elektrolytischen Zerlegung der Metalle (wässrige Elektrolyse) an der Anodenseite. Die lokal starke Alkalisierung greift vor allem die Signal- und VCC-tragenden Kontakte an. Die Metallionen oder Metallsalze gehen in Lösung und wandern bei vorhandener Brückenbildung (Feuchte) zur Kathode. Diese Bewegung erfolgt hauptsächlich entlang des größten Konzentrationsgradienten (jedoch nicht ausschließlich). Wird die Löslichkeit der Feuchtebrücke überschritten, kommt es zur Ausfällung von Hydroxyden und Metallkomplexen. Sie bilden dann eine Belagfläche um den Kontakt herum aus. Dagegen kommt es bei der galvanischen Abscheidung eher zu metallischen Brücken in Form von Dendriten (baum- oder strauchartige Kristallstruktur). Sofern sie entlang von Fasern (z.B. in Glasfaser-verstärkten Platinenmaterial) verlaufen, werden sie auch als CAF (Cathodic Anodic Filament Growth) bezeichnet. Dendriten können mehrere Millimeter Länge erreichen.
Besonders in der Elektronik ist dieses Phänomen bereits länger bekannt. Gerade sensible Signalleitungen können lange vor dem tatsächlichen Kurzschluss durch eine leitfähige Brücke ausfallen. Durch die elektrolytische Migration von Metallionen verändert sich der Widerstand gegenüber Masse. Das kann zu Arbeitspunktverschiebungen, Signalverformungen und Pegelveränderungen führen, was im besten Fall die Elektronik in den Störungsmodus versetzt (bspw. Auslösen des Isolationswächters bei einem Elektrofahrzeug). Lebensgefahr droht dagegen zum Beispiel beim Ausfall der ABS-Steuerung, einem Nichtauslösen des Airbags oder Fehlern bei der automatischen Abstandshaltung.
Abgrenzung gegenüber Kriechstrombildung (CTI)
Auch wenn beide Phänomene eine Folge von Feuchtigkeit sind, unterscheiden sich die Mechanismen etwas. Bei der mit dem „Comparative Tracking Index“ klassifizierten Materialzerstörung handelt es sich um eine Carbonisierung der Isolationsoberfläche. Ein mehr oder weniger permanent fließender Kriechstrom erwärmt lokal das Isolationsmaterial und für zu dessen Abbau. Schließlich entsteht ein elektrisch leitfähiger Pfad, der zum Auslösen einer Sicherung oder zum Kurzschluß führen kann.
Die Elektrolytische Migration beruht dagegen auf einer Korrosion der Leitungsmetalle und dem Wandern von Metallionen, die leitfähige Brücken oder Flächen ausbilden. Eine große Rolle spielt dabei die sich nicht ändernde Polarität von Gleichstrom (Ionenwanderung von der Anode zur Kathode).
Meist kommt es allerdings zu einer Mischform mit unterschiedlich starker Ausprägung abhängig von der Mikroumgebung.
Maßnahmen gegen die Entstehung von ECM
Wie bei allen feuchtigkeits-induzierten Ausfallmechanismen, jedoch auch bei dem Phänomen der Teilentladung (Partial Discharge, PD), hilft Abstand. Werden die Potentiale weit genug voneinander getrennt, kommt es nicht zur Kriechstromproblematik, kann ECM nicht entstehen und wird die für PD notwendige kritische Feldstärke nicht erreicht. Dem stehen jedoch oft Platzvorgaben (höhere Leistung in immer kleinerem Raum) entgegen. Zudem gibt es ein Zielkonflikt mit der Elektromagnetischen Verträglichkeit (Antennenbildung, EMI) bei der räumlichen Trennung von Masse und Signal- oder Spannungsversorgungsleitung.
Auswahl geeigneter Metalle
Es ist bereits lange bekannt, dass insbesondere Silber, Kupfer und Zinn (sowie das früher in Lot enthaltene Blei) zur Migration neigen. Dahingegen sind Metalle wie Nickel oder Gold weitgehend frei von elektrochemisch induzierter Migration in alkalischer Umgebung. Die geeignete Wahl der Metallwerkstoffe trägt also dazu bei, die Folgen einer ECM zu reduzieren. Hersteller von Loten sowie Produzenten von elektrischen Leitermaterialien können zu diesem Thema wertvolle Hinweise liefern.
Erwärmung, Klimatisierung und Abdichtung
Eine weitere Möglichkeit kann die bewusste Erwärmung sein. Die kann entweder durch Bauteile in der Nähe erfolgen (z.B. niederohmiger Widerstand) oder durch einen hohen Stromdurchfluß (Eigenerwärmung) sowie durch eine Gehäuse-Klimatisierung (z.B. in Schaltschränken, Überwachungskameras im Aussenbereich). Um die entsprechenden Temperatur- und Feuchtegrenzen zu erfassen, gibt es zahlreiche Sensoren.
Eine weitere Möglichkeit neben der Erwärmung deutlich über den Taupunkt ist die Verwendung von gekapselten Gehäusen. Allerdings sind Kabeldurchführungen oder andere Gehäusedurchbrüche immer auch ein potenzielles Einfalltor von Feuchte. Jedoch vermindert eine hohe Dichtigkeitsklasse und z.B. atmungsaktive PTFE-Membranen die Gefahr von ECM drastisch.
Schutzbeschichtungen, Schutzlacke
Am vielfältigsten sind jedoch die Möglichkeiten zur Vermeidung von ECM im Bereich der Beschichtung. Elektronische Baugruppen werden häufig zum Schutz vor ECM mit Schutzlacken beschichtet. Auf die topografischen (große und kleine Bauteile, solche mit Unterschneidung, Lackierfähigkeit, etc.), ökologischen (Kosten für Lackierung und Trockungszeit) sowie technologischen (Aktivierung, Tauchen, Sprühen) Herausforderungen des Lackierprozesses kann hier nicht erschöpfend eingegangen werden. Hersteller von Schutzlacken und Tränkmitteln sind daher die erste Adresse für praxisnahe Erfahrungen und Hilfestellungen.
Wie schon erwähnt sind insbesondere Fertigungsreste (Verunreinigungen, Lunker, Lotflußmittel, Trennmittel und Öle/Fette) auf der Oberfläche problematisch. Statt einer innigen Verbindung zwischen Oberflächenbeschichtung und Bauteiloberfläche kommt es zu einer mehr oder weniger guten Haftung an der Verunreinigungsoberfläche. Die allermeisten typischen Beschichtungsmittel (Polyurethane, Acrylate, Silikone) sind nicht völlig undurchlässig für Feuchte. Es kann daher bei unzureichender Haftung eines Schutzlackes zu einer Unterwanderung kommen und damit zu einer elektrochemischen Migration unterhalb des Schutzlackes. Eine effiziente Reinigung zum Entfernen von unerwünschten Fertigungsresten ist also essenziell, stellt jedoch einen weiteren Produktionsschritt dar.
Teilweiser- oder kompletter Verguß
Eine ultimative Vermeidung von Feuchtigkeitszutritt ist der Vollverguß. Doch auch beim Verguss kann es durch Verschmutzungen und Unterschiede bei den thermischen Ausdehnungskoeffizienten zu Rissen und Delaminationen kommen. Auch ist der Verguß mit möglichst wenig Lufteinschlüssen ein durchaus anspruchsvoller Fertigungsvorgang. Neben der Verarbeitbarkeit, dem Härtungsverlauf, der Wärmeableitung und der z.B. chemischer Beständigkeit ist also auch die Verfahrenstechnik verantwortlich für guten oder weniger guten Schutz vor ECM. Unternehmen für Vergußmaterialien (z.B. aus Polyurehtan, Epoxydharzen oder Silikonen) können in diesem Fall wertvolle Hilfestellung bieten.
Elektrochemische Migration entsteht erst in der Anwendung
Elektrolytische Korrosion kann einerseits durch eine langfristige Belastung durch hohe Luftfeuchtigkeit entstehen. Zum Beispiel in Solarwechselrichtern, Windkraftanlagen, Fahrzeugen und Funkmasten. Oder durch unbeabsichtigten Feuchtigkeitseintritt, wie zum Beispiel durch Alterungsrisse in Gehäusen oder Regen durch ein versehentlich offen stehen gelassene Dachfenster.
Ein praktisches Beispiel für „unerwartete ECM“ sind wärmeleitende Silikonkautschuke. Das vermeintlich wasserabweisende Material ist durch den für die thermische Leitung hohen Füllgrad anfällig für CAF (Cathodic Anodic Filament Growth), auch wenn in diesem Fall das Wachstum der Dendriten entlang der thermisch leitfähigen Zuschlagstoffe erfolgt. Umso höher die Differenzspannung (bei gleichbleibender Feuchte), desto schneller erfolgt ein Feldausfall.
Der Ausfall erfolgt nahezu immer erst im Feld
In den seltensten Fällen werden die Folgen elektrolytischer Korrosion und die anschließende Migration von Metallionen in der Fertigungsprüfung detektiert werden. Daher ist eine ausgedehnte „Worst-Case“-Testung im Vorfeld (Lifecycle-Testing) auch unter dem Gesichtspunkt von ECM notwendig. Dabei zu beachten ist, dass für den Ladungsträger-Transport auch andere Flüssigkeiten als Wasser in Frage kommen und ggf. den Ausfallmechanismus sogar beschleunigen.
Defekte durch elektrochemische Migration sind bei einem Schadensfall im Feld nur schwer nachweisbar. Der überhöhte Stromfluß zerstört die Ursache für den Kurzschluß meist komplett. Dem erheblichen Risiko eines Rufschadens und den wirtschaftlichen Folgen einer Rückrufaktion oder den Kosten für eine Garantiereparatur stehen relativ einfach und kostengünstige Gegenmaßnahmen gegenüber.
Fazit
Ausfälle durch Elektrochemische Migration sind noch vergleichsweise selten. Allerdings wird die Wahrscheinlichkeit dafür durch die zunehmende Elektrifizierung und der stark steigende Anteil von Gleichspannungsanwendungen höher werden. Die zuvor beschriebenen Gegenmaßnahmen sind zunächst relativ einfach, jedoch in der jeweiligen Umsetzung durchaus anspruchsvoll. Daher ist es in vielen Fällen sinnvoll, sich früh mit einem Spezialisten für die jeweilig gewählte Maßnahme in Verbindung zu setzen.
@ Gerald Friederici