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Man muß nicht alles wissen! Nur, wo es steht!

Die Basisnorm IEC 60664 Isolationskoordination

Diese grundlegende Norm IEC 60664-1 für Niederspannungseinrichtungen gibt bestimmte Regeln für die Auslegung von elektrischen Isolationen vor. Dabei gilt die Norm bis 1000 VAC und 1500 VDC sowie bis zu einer Frequenz von 30 kHz. Inzwischen gibt es Normerweiterungen bzw. aus technischen Teilbereichen (z.B. Umrichter, umrichterangetriebene Motoren) Normen, die den Frequenzbereich nach oben setzen bzw. auch bis 3000V gehen. Darüber setzt dann die Normung für die Mittelspannungsebene ein.

Die IEC 60664 betrachtet in Abhängigkeit mehrerer Faktoren die Wegstrecken für Luft- und Kriechstrecken. Sie legt keine Materialstärken (dti, distance through insulation) fest. Dies erfolgt in anderen Normen wie z.B. der IEC 61558 ("Transformatorennorm").

Luftstrecken beschreiben - wie der Name es schon sagt - die Distanz zwischen zwei Leitern durch die Luft. Dabei können z.B. in diese Distanz hineinragende Stege aus Kunststoffen den direkten "Luftweg" verlängern.

Die Kriechstrecke ist diejenige Distanz, die zwischen zwei Leitern über die Oberfläche der isolierenden Materialien dazwischen vorhanden ist. Auch diese Distanz kann durch zusätzliche "Umwege" verlängert werden, z.B. überstehende Isolationsfolien, um deren Überstand die Wegstrecke dann verlängert wird.


Vorgehensweise Bestimmung der Anforderungen der IEC 60664 an Luft- und Kriechwege

  1. Welche Isolationsart, z.B. Funktionsisolation, Basisisolation?
     
  2. Welche Frequenz (bei AC; Norm gilt nur bis 30 kHz; IEC 60664-4 bis 10 MHz)?
     
  3. Welche Dauerbelastungstemperatur (welche Temperaturklasse)?
     
  4. Überspannungskategorie (Nähe zum Verteilnetz)?
     
  5. Maximale Steh-Stoßspannung?
    (zu berücksichtigen: Höhenkorrekturfaktor bei Einsatz über 2.000m)

ergibt: Luftstrecke aus Tabelle F.2 (Schnittpunkt aus transienter Überspannung und Feldart (homogen, inhomogen)

6. Maximale Betriebsspannung?
(zu berücksichtigen: Verschmutzungsgrad (1-4) und die Werkstoffgruppe (IEC 60112))


ergibt: Kriechstrecke zur Vermeidung des Versagens durch Kriechwegbildung nach Tabelle F.4

 Wichtig: Kriechstrecken dürfen nicht kleiner wie Luftstrecke sein!

Hinzu kommt in vielen Fällen noch eine Forderung hinsichtlich der Brennbarkeit. Sie ist nicht Teil der Norm, allerdings Bestandteil vieler Spezifikationen. Üblich sind u.a. UL94, FMVSS 302, DIN 75200.


Ergänzung:

Das Normblatt IEC 60664-3 behandelt die Anwendung von Beschichtungen, Eingießen oder Vergießen zum Schutz gegen Verschmutzung.

Das Normblatt IEC 60664-4 behandelt die Berücksichtigung von hochfrequenten Spannungsbeanspruchungen bis 10 MHz

Das Normblatt IEC 60664-5 bietet ein umfassendes Verfahren zur Bemessung der Luft- und Kriechstrecken für Abstände gleich oder unter 2 mm

Das  PD IEC/TR 60664-2-1 erläutert die Anwendung der IEC 60664-Norm durch Beispiele und Erklärungen!!


Erläuterungen:

Isolationsart: Je nachdem, welche Funktion die Isolation erfüllen soll (rein für den Betrieb der elektrischen Einrichtung notwendig, Schutz für Mensch und Sache...)

Frequenz: Moderne Leistungstransistoren erlauben steil ansteigende Flanken. Das führt zu hohen Frequenzbelastungen. Vor allem polare Isolierwerkstoffe verlieren dabei ihre Spannungsfestigkeit.

Dauerbetriebstemperatur: Wärme ist ein Hauptalterungsfaktor und spielt natürlich auch bei der Betrachtung einer Isolationsstrecke eine Rolle - Wärme wird über die Zeit ihre Eigenschaften verschechtern

Überspannungskategorie: Ein Gerät, das direkt mit dem Verteilnetz-Transformator verbunden ist, wird anderen Impuls- und Spitzenspannungsbelastungen ausgesetzt sein wie ein Steckernetzteil, das über die Hausinstallation wesentlich weniger belastet wird.

Steh-(Stoß)spannung mit Höhenkorrekturwert: Maximale Spannung, der die Isolation über einen längeren Zeitraum widerstehen können muß (übliche Festlegung: 1000V + 2x Betriebsspannung; 1 Minute).
Da die Isolationsfähigkeit (beeinflusst die Luftstrecke) der Luft mit dem Luftdruck abnimmt, gibt es Korrekturfaktoren für Höheneinsatz über 2.000m

Betriebsspannung: Die maximale vom Hersteller für den kontinuierlichen Betrieb zugelassene Spannung. Sie belastet permanent die Isolationsstrecke zwischen zwei elektrischen Potentialen. Daher ist die Empfindlichkeit der Oberfläche des Isolationswerkstoffes gegenüber negativer Veränderung wichtig. Diese wird in Abhängigkeit von der Umwelt (Verschmutzungsklasse) durch den cti-Wert definiert (wie schnell bildet sich ein Kriechweg für Strom auf der Oberfläche).

@ Gerald Friederici


Kurze Erläuterung "Kriechstomfestigkeit" CTI / PLC / Werkstoffklasse

Die Kriechstromfestigkeitsprüfung ist ein wichtiges Verfahren zur Charakterisierung von Isoliermaterialien. Die ermittelten CTI-Werte ermöglichen eine gezielte Auswahl von Materialien für den Einsatz in der Elektrotechnik. Der CTI-Wert eines Werkstoffes bestimmt maßgeblich die vorgeschriebenen Abstände zwischen unterschiedlichen spannungsführenden Leitern über Oberflächen hinweg (nicht die reine Luftstrecke).

Die Kriechstromfestigkeitsprüfung dient der Ermittlung der maximalen Kriechstromstärke eines Isolierstoffs unter genormten Prüfbedingungen (Bestimmung der Fähigkeit eines Werkstoffes, unter genormten Bedingung einer Kriechwegbildung zu widerstehen).

Die Klassifizierung dient dazu, vorzeitigen Ausfällen zu verhindern: 
Vermeidung von Kriechwegen, die zu Kurzschlüssen und Bränden führen können. Die Einteilung in unterschiedliche Werkstoff-Klassen erhöht die Sicherheit und Zuverlässigkeit von elektrischen und elektronischen Bauteilen durch ausreichend große Abstände der elektrischen Leiter.
Insbesondere bei harschen Umweltbedingungen (Staub, Abrieb, etc.), hohen Spannungen und hoher Luftfeuchtigkeit verhindern Werkstoffe mit guten CTI-Werten (hohe Prüfspannungen) die vorzeitige Ausbildung elektrisch leitfähiger Pfade auf der Oberfläche von Isolatoren.

Prüfverfahren (nach IEC 60112):
CTI-Wert (Vergleichszahl): Prüfung mit einer elektrisch leitenden Prüfflüssigkeit zwischen zwei Platinelektroden (50 oder 100 Tropfen Prüfflüssigkeit alle 30 Sekunden). Ermittelt wird die Spannung, bei der es zu einer wesentlichen Erosion der Werkstoffoberfläche oder dem Entzünden kommt.