Die Durchschlagspannung, die in Datenblättern angegeben ist, dient als Richtwert für die Spannung, bei der ein Isolationsmaterial im Neuzustand versagt. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass dieser Wert im Laufe der Nutzungsdauer des Materials abnehmen kann.
Die Prüfung der Spannungsfestigkeit erfolgt üblicherweise mit einem zügigen Spannungsanstieg bis zum Durchschlag. Die so ermittelte Durchschlagsspannung wird dann auf die Dicke des Materials normiert und in kV/mm für Produkte im Neuzustand angegeben.
Im praktischen Einsatz unterliegen Isolationsmaterialien jedoch einer Vielzahl von Faktoren, die ihre Isolationsfähigkeit negativ beeinflussen können. Daher ist es entscheidend, alle potenziellen Belastungen und deren Auswirkungen bei der Bemessung von Isolationen zu berücksichtigen.
1. Temperatureinfluss
Im Allgemeinen führt eine höhere Temperatur zu einer beschleunigten Alterung des Isolationsmaterials. Dies liegt daran, dass höhere Temperaturen Korrosion und Oxidation durch die umgebende Luft verstärken und die Geschwindigkeit von Alterungsprozessen gemäß der Arrhenius-Kurve erhöhen.
Eine Faustregel aus der Elektronik besagt, dass sich die Lebensdauer eines Isolationsmaterials bei einer Temperaturerhöhung von 10 °C halbiert.
Die IEC 60085 (Elektrische Isolierung, thermische Bewertung und Bezeichnung) teilt Isolationsmaterialien in Wärmeklassen ein (z. B. B = 130 °C, F = 155 °C, H = 180 °C). Diese Klassen geben die Dauergebrauchstemperatur an, bei der die Materialien nach 20.000 Stunden noch 50 % ihrer ursprünglichen Durchschlagspannung (oder ein anderes aussagekräftiges End-of-Life Kriterium) aufweisen.
Dies bedeutet, dass ein Material nach etwa zweieinhalb Jahren unter maximaler Betriebstemperatur die Hälfte seiner Isolierfähigkeit verloren hat. Um die Lebensdauer bei einer bestimmten Betriebstemperatur zu verlängern, können Isolationsmaterialien höherer Wärmeklassen eingesetzt werden.
Bei der Bestimmung der maximalen Betriebstemperatur sollten Faktoren wie Wärmestau in Wicklungen, Stromdichteanstieg an Ausleitungen, Umgebungstemperatur und mögliche Fehlfunktionen berücksichtigt werden.
Werkstoffe wie Formmassen, Lacke, Tränkmittel und Vergussmassen können durch Wärme verspröden, schrumpfen oder Risse bilden. Bei Flächenisolationsmaterialien kann es zu Delaminationen kommen, die zu Teilentladungen führen können.
2. Spannungseinfluss (Stress, Teilentladung)
Bereits ab 400 V kann es zu Coronaentladungen an Isolator-Oberflächen kommen. Dabei werden freie Elektronen durch die hohe Feldstärke so stark beschleunigt, dass sie weitere Ladungsträger freisetzen und eine Ladungsträgerlawine auslösen, die in eine Teilentladung übergeht. Luftfeuchtigkeit, Elektrodenabstand und Luftdruck spielen bei der Spannungsfestigkeit einer Luftstrecke eine entscheidende Rolle mit.
In modernen Geräten wie Netzgeräten, Filtern und Frequenzumrichter-Antrieben treten häufig sich wiederholende, energiereiche Schaltimpulse auf, die das Isolationssystem anders belasten als herkömmliche Netzfrequenzwechselspannung. Zu eng an den Grenzen der Normvorgaben dimensioniert können Isolationswerkstoffe nach einem längeren Betrieb vorzeitig versagen.
Dabei können Teilentladungen die Isolation durch aggressive Abbauprodukte, UV-Strahlung und Ozon zerstören, können sich Leitpfade auf der Oberfläche bilden und dielektrische Erwärmung durch hochfrequente Anteile der Spannungsimpulse eine vorzeitige Alterung bewirken.
Selbst wenn die Nennspannung unter der Teilentladungs-Einsetzspannung liegt, können überlagerte Impulse solche Teilentladungen auslösen. Dabei beeinflussen Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Impulsform, Polarität und Wiederholungsrate die Degradationsgeschwindigkeit der Werkstoffe.
In großen Anlagen werden halbleitende Materialien verwendet, um Gleit- und Glimmentladungen an Anschlußstellen zu vermeiden, indem sie das elektrische Feld so formen, dass keine Feldlinienkonzentrationen entstehen. Zusätzlich können anorganische Materialien wie Glimmer eingesetzt werden, da diese Werkstoffe von TE nicht beeinflusst werden.
Bei kleineren Baugrößen, bei denen Teilentladungen nicht vollständig vermieden werden können, empfiehlt sich der Einsatz von Kapton® CR oder Fluorpolymeren wie FEP, die eine hohe Teilentladungsbeständigkeit aufweisen.
Vergussmassen sind ein gängiges Mittel, um Oberflächenentladungen zu vermeiden, da sie das Material vor der umgebenden Luft schützen. Es ist jedoch wichtig, dass Vergussmassen blasen- und lunkerfrei sind, um Teilentladungen zu vermeiden.
Die IEC 60343 (Empfohlene Prüfverfahren zur Bestimmung der relativen Beständigkeit isolierender Werkstoffe gegen Durchschlag infolge Oberflächenteilentladung) und die DIN IEC/TS 61934 (Elektrische Messung von Teilentladungen (TE) bei sich wiederholenden Spannungsimpulsen mit kurzer Anstiegszeit) beschreiben Verfahren zur Prüfung der Teilentladungsbeständigkeit von Isolationsmaterialien.
3. Frequenzeinfluss
In vielen elektrischen Normen wird die Durchschlagsspannung bei 50/60 Hz Sinusspannung gemessen (IEC 60243). Moderne Geräte arbeiten jedoch oft mit höheren Frequenzen, was die Isolationsmaterialien zusätzlich beansprucht.
Beim Hochfrequenzschweißen werden die Umpolarisierungsverluste im Material genutzt, um Kunststoffe aufzuschmelzen. Diese Verluste können jedoch bei Isolationsmaterialien im Dauereinsatz zu einer inneren Erwärmung führen, die oft unberücksichtigt bleibt.
Frequenzumrichter, Mittelfrequenztransformatoren und Schaltnetzteile belasten Isolationen aufgrund von pulsweitengesteuerten Spannungen im Bereich von 30 kHz und deutlich mehr. Die entstehenden Oberwellen können zu Spitzenspannungen führen, die weit über der Betriebsspannung liegen.
Die hohen Schaltgeschwindigkeiten (dU/dt) moderner Hochleistungstransistoren belasten die Isolationsmaterialien zusätzlich, und es können Wellenreflexionen und andere Effekte auftreten, die die Isolation weiter beanspruchen.
Die Durchschlagsspannung von Isolierstoffen nimmt bei höheren Frequenzen z.T. signifikant ab. Unter anderem erhöhen sich die Umpolarisationsverluste (Wärme) vor allem in polaren Materialen (Verlustfaktor). Diese Erwärmung ist auch ein Grund dafür, dass die normierte Durchbruchspannung (kV/mm) bei größeren Materialstärken geringer ist. Der Aufbau von Ladungswolken im Isolationsmaterial führt zu einer überhöhten Spannungsbelastung und ist ein weiterer Grund für die Reduktion der Spannungsfestigkeit unter hochfrequenter Belastung.
4. Einfluß von Verschmutzungen
Verschmutzungen durch Feuchtigkeit und Staub können in Verbindung mit Luftfeuchtigkeit und Gleitentladungen zur Bildung von Leitpfaden auf der Oberfläche von Isolierstoffen führen. Diese Leitpfade werden mit der Zeit immer länger und führen schließlich zum Versagen der Isolation.
Die Wasseraufnahme des Isolierstoffes kann die Zerstörung durch Verschmutzung beschleunigen. Der CTI-Wert (Comparative Tracking Index) gibt an, wie leicht ein Werkstoff dazu neigt, auf der Oberfläche leitfähige Pfade zu bilden.
Die Erhöhung von Luft- und Kriechstrecken trägt maßgeblich dazu bei, das Risiko von Isolationsfehlern durch Verschmutzung, Tracking und elektrochemische Migration zu verringern. Die erforderlichen Luft- und Kriechstrecken hängen von Faktoren wie CTI, Verschmutzungsgrad, Überspannungskategorie, Frequenz und Einsatzgebiet ab.
5. Konstruktive Maßnahmen
Es gibt verschiedene konstruktive Maßnahmen, um die elektrische Sicherheit von Geräten zu gewährleisten. Dazu gehören die Erhöhung von Luft- und Kriechstrecken, die Verwendung von Isolationsmaterialien höherer Klassen und die Fehlertoleranz der Konstruktion.
Die Qualität der verwendeten Materialien (keine Delamination, keine Lunkereinschlüsse) spielt ebenfalls eine wichtige Rolle für die Lebensdauer der Isolation. Auch mechanische Belastungen bei der Verarbeitung (z.B. Zug auf Drahtlack) und mögliche Vorschädigungen durch Prüfverfahren können die Lebensdauer beeinflussen.
6. Weitere mögliche Ursachen
Neben Temperatur, Spannungsstress, Materialeigenschaften und Teilentladungen gibt es weitere Faktoren, die zum Versagen von Isolationen führen können. Dazu gehören Strahlung, Hydrolyse, mechanische Vibrationen, Temperaturwechsel und chemische Inkompatibilität.
Strahlung (beginnt bei UV) kann Polymerketten zerstören und die mechanische Festigkeit verringern. Hydrolyse (Aufbrechen von Polymerketten) kann bestimmte Kunststoffe in Gegenwart von Feuchtigkeit und Wärme schädigen. Mechanische Vibrationen können zu Erosion und verringerter Spannungsfestigkeit führen.
Temperaturwechsel können Spannungsrisse in vergossenen Systemen verursachen, da sich Kunststoffe und Metalle unterschiedlich ausdehnen. Chemische Inkompatibilität zwischen Materialien kann ebenfalls die Alterungsbeständigkeit beeinflussen.
Zusammenfassung
Die Entwicklung von Geräten unterliegt dem Trend zu kleiner, schneller und leistungsfähiger. Dies führt zu kleineren Isolationsabständen, erschwerter Wärmeabfuhr und höheren Frequenzen, was die Isolationsmaterialien zusätzlich beansprucht.
Die Datenblattangaben von Isolierstoffen geben oft nur die optimalen Werte unter Standardbedingungen an. Im praktischen Einsatz spielen jedoch zahlreiche Faktoren eine Rolle, die die Isolationsfähigkeit beeinträchtigen können.
Daher ist es wichtig, alle potenziellen Einflussgrößen bei der Auslegung von Isolationen zu berücksichtigen und die erforderliche Spannungsfestigkeit am Ende der erwarteten Lebensdauer zu kennen.
02/2025 © Gerald Friederici