Zum Hauptinhalt springen
Man muß nicht alles wissen! Nur, wo es steht!

DC-INDUSTRIE und die Open DC Alliance

Im März 2016 startete mit dem Projekt „DC-INDUSTRIE“ eine Initiative mit dem Ziel, den Gleichstrom in Verteilnetzen attraktiv zu machen. Dazu sollten offene Konzepte entwickelt werden, die smarte, digitalisierbare Gleichstromnetze für die industrielle Energieversorgung möglich machen. Damals engagierten sich 15 Verbundpartner in dem geförderten Projekt. Im Jahre 2019 folgte dann das Projekt „DC-INDUSTRIE2“, in dem sich bereits 40 Forschungseinrichtungen und Firmen mit dem Ziel engagierten, die Potenziale der Gleichstromtechnik für industrielle Produktionsanlagen zu konkretisieren. Dazu wurden unter anderem an mehreren Stellen Fertigungszellen weitgehend vollständig in Gleichstromtechnik aufgebaut.

Zwei Ideen liegen den Projekten zugrunde: Einerseits die potentiellen Einsparungen bei dem Materialeinsatz (Kupfer) sowie die Reduktion von Umwandlungsverlusten (AC/DC und DC/AC). Andererseits die Erkenntnis, dass in Zukunft mehr und mehr Prozesse elektrifiziert werden und dass viele davon mit Gleichspannung betrieben werden. Mittelfristig sind dann auch Anwendungen z.B. in Gebäudekomplexen (namentlich Bürogebäude mit viel IT-Technik) angedacht (LVDC).

Vor allem Solarstrom liegt bereits als Gleichstrom vor. Auch Pufferspeicher für kurzfristigen Strombedarf – also Batteriespeicher – arbeiten mit Gleichspannung. Und nahezu alle elektronischen Geräte vom Computer über Server, von LED-Lampen bis zur kompletten Haustechnik, aber auch Frequenzumrichter von Antriebsmotoren arbeiten mit Gleichspannung. Viele Gründe, sich über die Vorteile eines Gleichstromnetzes Gedanken zu machen – und der dafür notwendigen Standardisierung!

Welche Motivation gab es zu der Initiative von DC-INDUSTRIE?

Gleichstrom bietet gegenüber Wechselstrom Vorteile in der Industrie:

  • Höhere Energieeffizienz: Bis zu 20% Energieeinsparung möglich, weil u.a.     Umwandlungsverluste in Spannungswandlern (AC/DC) vermieden werden. Durch Integration von DC-Energiespeichern (Batterien, Super-Cap) wird die Rückspeisung von Bremsenergie aus der Antriebstechnik möglich.  
  • Geringere Kosten: Die Stromtragfähigkeit von Kupfer ist bei DC erheblich höher. Der Kupferverbrauch in den Leitungen kann um etwa die Hälfte reduziert werden. Durch die dezentrale Einspeisungen aus mehreren unterschiedlichen Quellen (Netzeinspeisung, Batterien, Kondensatoren) braucht die Netztopologie (Leitungen) nicht für den potentiellen Maximalbedarf     ausgelegt werden.  
  • Einfache Integration erneuerbarer Energien: Gleichstrom aus Photovoltaik oder Batteriespeichern kann direkt in die Produktion eingebunden werden. Viele industrielle Komponenten werden an sich mit DC betrieben, benötigen bislang aber ein Netzteil (AC/DC Wandler).  
  • Die Komplexität eines DC-Netzes ist geringer: Der Informationsträger für den Zustand des DC-Netzes ist die Spannung und nicht die Frequenz (50/60 Hz). Durch einen weiten zulässigen Schwankungsbereich ist die Netzführung vereinfacht. So sind dezentrale Einspeisung, Integration von hochdynamischen Speichern zur Glättung von Bedarfsspitzen und grundsätzlich die Integration unterschiedlicher Energiespeicher deutlich einfacher möglich.
  • Elektromotoren dominieren den Energieverbrauch: In vielen Industriebetrieben verbrauchen vor allem Elektromotoren den Hauptteil der benötigten elektrischen Energie. Heutzutage sind sehr viele Motoren drehzahlgeregelt. In den Frequenzumrichtern wird aus der Netzwechselspannung per AC/DC Wandler ein Gleichstromzwischenkreis erzeugt. Die Gleichspannung wird dann in einem DC/AC Wandler zum geregelten Ansteuern des Motors genutzt. Die Wandlerverluste des AC/DC Wandlers und die Verluste im vorgeschalteten Netzfilter entfallen. Anfallende Bremsenergie kann normalerweise nicht ins Versorgungsnetz eingespeist werden, sondern wird meist über Bremswiderstände in Wärme umgewandelt (Brems-Chopper). In DC-Grids kann dagegen diese Bremsenergie in einen Batteriepufferspeicher eingespeist werden.

Die Ergebnisse der beiden Forschungsprojekte sind:

  • Es wurde ein offenes, herstellerunabhängiges Systemkonzepts für DC-Industrieanlagen entwickelt.
  • Die Technik wurde in zehn Modellanlagen und Transferzentren erprobt.
  • Die Vorteile von DC konnten in der Praxis bewiesen werden: Energieeinsparung, Kostensenkung, Flexibilitätssteigerung.
  • Aufbauend auf diesen Erfahrungen wurden Handlungsempfehlungen für die Umsetzung von DC-Industrieanlagen entwickelt.

Beteiligte:

  • Über 40 Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus Deutschland, u.a. Audi, Bender, Block, Danfoss, Eaton Industries, ESR Pollmeier, ETA, ETO Magnetic, Fraunhofer IISB, Fraunhofer IPA, FAU Erlangen-Nürnberg, Harting, Innelekt, Jean Müller, KEB, Keba, Kuka, Lapp, Lenze, Maschinenfabrik Reinhausen, Murrelektronik, Paul Vahle, Phoenix Contact, Rittal, Schaltbau, Schneider Electric, Siemens, Socomec, TH Ostwestfalen-Lippe, TU Braunschweig, TU Ilmenau, Weidmüller, Wöhner. 
    Gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).

Weitere Informationen:

Die Open DC Alliance – aus der Forschung in die Praxis

Aus der fruchtbaren und erfolgreichen Zusammenarbeit in den beiden Forschungsprojekten „DC-INDUSTRIE“ und DC-INDUSTRIE2“ entstand unter der Schirmherrschaft des ZVEI im November 2022 die Open DC Alliance (ODCA). Steigende Energiekosten und der zunehmende Druck zur Nutzung „Kohlenstoff-freier Energie“ lassen nach Ansicht der Mitglieder Energieeffizienz eine immer größere Bedeutung zukommen. Die Nutzung von Gleichstrom kann zur Energieeinsparung einen nennenswerten Beitrag leisten.

Was bislang fehlt ist ein größeres Angebot an geeigneten Geräten und Einrichtungen für DC-Verteilnetze. Im einfachsten Fall ist bereits das Öffnen eines Gleichstromkreises unter Last eine (lösbare) Herausforderung: durch den fehlenden Nulldurchgang gegenüber der Wechselspannung können Lichtbögen bei der Kontakttrennung weiterbrennen. Doch vor allem sind solche Einrichtungen derzeit noch teuer. Erst die Hochskalierung der Gleichstromtechnik wird diesen Investitionsnachteil eliminieren können.

Ähnlich wie bei der Gerätetechnik für DC-Anwendungen verhält es sich auch mit der Verfügbarkeit von qualifizierten Fachleuten und international anerkannten Standards und Normen.

Aus dem zuvor Geschriebenen ergeben sich die von der Open DC Alliance (ODCA) verfolgten Ziele:

Globaler Aufbau eines Gleichstrom-Ökosystems:

  • Förderung der Entwicklung und Nutzung von Gleichstromtechnologien in verschiedenen Anwendungsbereichen.
  • Schaffung eines offenen und interoperablen Gleichstrom-Marktes.
  • Unterstützung der Standardisierung und Normung von Gleichstromsystemen.

Anwendungsübergreifende Etablierung der Gleichstromtechnik:

  • Verbreitung von Wissen und Informationen über die Vorteile von Gleichstrom.
  • Unterstützung von Unternehmen bei der Einführung von Gleichstromtechnologien.
  • Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich der Gleichstromtechnik.

Nachhaltigkeit und Klimaschutz:

  • Beitrag zur Steigerung der Energieeffizienz durch den Einsatz von Gleichstrom.
  • Förderung der Nutzung erneuerbarer Energien durch Integration in Gleichstromnetze.
  • Reduzierung von CO2-Emissionen durch die Nutzung von Gleichstromtechnologien.

Das Ziel der ODCA ist neben der Einführung einer Gleichstrom-Netzstruktur auf den unteren Spannungsebenen bis 800 VDC auch die technologische Führerschaft deutscher und europäischer Unternehmen. Die beiden „DC-INDUSTRIE“ Projekten trugen wesentliche Erkenntnisse bei der praktischen Umsetzung solcher DC-Anwendungen bei. Daraus resultieren heute fundierte Handlungsvorschläge und Entwürfe für entsprechende Normen und Standards. Sie sollen durch eine Kompatibilität von z.B. Anschlüssen oder von Schnittstellen-Protokollen DC-Netze attraktiv und schnell einsetzbar machen. Festgelegte Standards ermöglichen auch eine rasche Hochskalierung bei den Herstellern und eine schnellere Einführung bei den potentiellen Anwendern mit entsprechenden Kostenvorteilen.

Eines der wichtigsten Ziele der Open DC Alliance ist, durch Energieeffizienz auf Fabrikebene und erleichterte Integration von regenerativ gewonnener Energie einen Beitrag zur Klimaneutralität zu leisten – angesichts der stark zunehmenden Elektrifizierung in allen Lebensbereichen ein durchaus wichtiges Ziel. 

© Gerald Friederici, 2024