In vielen Industrieländern entwickelt sich der Strombedarf schneller als der Netzausbau. Ein Grund dafür ist der Übergang von einer durch fossile Energieträger dominierten Energiegewinnung zu einer regenerativen Stromherstellung. Dazu kommen stetig zahlreicher werdende dezentrale Einspeisepunkte und eine zunehmende Elektrifizierung der gesamten Energienutzung.
Über etliche Jahrzehnte fokussierte sich der Netzausbau ausschließlich auf die klassische Struktur eines AC-Netzes: Wenige zentrale Einspeisepunkte und zahllose Abnehmer. Doch seit einigen Jahren übernehmen auf der Stromproduktionsseite stark zunehmend regenerative Energiequellen (Photovoltaik, Windkraft, Wasserkraft) die Aufgaben von Kohle- und Gaskraftwerken. Diese Einspeisepunkte sind wesentlich zahlreicher und vor allem auch stärker schwankend (z.B. Solarstrom zwischen Tag und Nacht).
Hinzu kommt eine zunehmende Elektrifizierung der Verbraucher. Von E-Fahrzeugen über elektrisch betriebene Wärmepumpen und Kühlanlagen, eine stark zunehmende IT-Infrastruktur (Stichwort Internet) und zahllose Geräte und Anlagen in Haushalten und Industrieanlagen (Heizplatten, Umrichter gesteuerte Antriebe, Batteriespeicher)
Diese Mischung aus volatilen Stromquellen und Verbrauchern erzeugt ein extrem schwankendes Lastprofil auf den Leitungen der Netzbetreiber. Angesichts der immer weiter zunehmenden Elektrifizierung sind daher Blackouts wegen Leitungs-Überlastung nicht ausgeschlossen.
Eine Idee, dieser sich andeutenden Problematik entgegen zu treten, sind Quartierspeicher bzw. BESS (Batterie Energy Storage System). Sie können mit überschüssigem Strom aus dem Netz, jedoch vor allem mit Windkraft oder Solarenergie lokal aufgeladen werden. Wird durch die Stromverbraucher mehr elektrische Energie wie zum Schutz der Netzzuleitungen möglich angefordert, springen diese Stromquellen ein.
Es ist naheliegen, beim Vorhandensein von Batteriespeichern an eine direkte Speisung der Verbraucher mit Gleichstrom zu denken. Vor allem, da die allermeisten elektronischen Verbraucher heutzutage sowieso am Ende mit Gleichstrom betrieben werden.
Aus den Erkenntnissen der Forschungsprojekte DC Industries heraus und neben dem Firmenzusammenschluß der Open DC Alliance (ODCA; https://odca.zvei.org) verfolgt auch die Stiftung Current OS ( https://currentos.foundation) das Ziel, sogenannte DC Microgrids zu fördern.
Was ist die Idee solcher „DC-Microgrids“?
Zahlreiche Firmen aus der ODCA und Current OS bemühen sich darum, eine standardisierte, offene Struktur für ein Gleichstrom-Netz zu definieren. Das schließt Sicherheitskonzepte, Bauvorschriften und Schnittstellendefinitionen ein. Zielgrößen solcher Micro-Grids können einzelne Gebäude sein (z.B. 48VDC-Netz für Beleuchtung, Elektronik; Integration von Solaranlage und Batteriespeicher), größere Ansiedlungen oder große Gebäude (Klimatisierung, Heizung, IT-Infrastruktur, Solaranlage, DC-Antriebe, usw.), jedoch auch ganzen Industrieanlagen.
Standardisierte Microgrids bieten neben den Vorteilen der Gleichstromtechnik wie Materialersparnis (Stromtragfähigkeit der Leitungen), geringere Umwandlungsverluste, höherer Wirkungsgrad und geringerer Komplexität von DC-Netzen vor allem auch eine leichtere Adaptierbarkeit zwischen (regenerativer) Stromquellen, (elektrischen) Energiespeichern und Stromverbrauchern. Statt großflächig den AC-Netzausbau voran treiben zu müssen (Verlegen von noch mehr Leitungen, Aufbau von noch mehr Kraftwerken), glätten Quartierspeicher und DC-Microgrids Lastspitzen, sodaß vorhandene Netztransportleistungen auseichend sind.
Der Entwicklung von Current OS liegt das Ziel zugrunde, in Industrieanlagen und größeren Gebäuden kein aufwendiges zentrales Lastmanagement mehr zu benötigen. Vielmehr entscheidet jedes Gerät für sich selbst, wann es wie viel Energie dem Micro-Grid entnimmt. So könnten bei einer Unterversorgung oder gar Stromausfall zum Beispiel Klimatisierung, Beleuchtung oder das Laden von E-Fahrzeugen heruntergefahren werden, während vitale, wichtige Prozesse weiterlaufen.
Das Entscheidungsmerkmal in einem DC-Netzwerk ist die Spannung. In einem weiten Bereich von 350 VDC bis 700 VDC soll dabei die Spannung schwanken können. Überschreitet die Spannung eine obere Grenze (z.B. hohe Einspeisung der Solaranlage auf dem Dach), wird die überschüssige Leistung ins Netz eingespeist. Unterschreitet dagegen die Spannung eine untere Warngrenze, schalten sich nicht unbedingt benötigte Geräte ab und/oder die Einspeisung aus dem Netz wird erhöht. Der Spannungspegel definiert also die Betriebsarten von Lasten und Quellen. Das entsprechende Verhalten der Geräte wird bei der Installation festgelegt und funktionieren dann autonom.
DC-Microgrids verbinden (elektronische) Verbraucher und regenerative Einspeiser und puffern Unterschiede zwischen Erzeugung und Bedarf durch Batteriespeicher (BESS) ab. Die Entwicklung bei Current OS hat neben der Definition passender DC-Geräte zusätzlich das Ziel einer maximal möglichen Verfügbarkeit (Ausfallsicherheit). Dazu werden den unterschiedlichen Netzwerk-Bereichen Zonen mit entsprechenden (Sicherheits- und Konstruktions-)Regeln zugeordnet. Zone 1 umfasst zum Beispiel energiestarke Quellen wie Batteriespeicheranlagen, Netzeinspeisepunkte oder große PV-Anlagen bis 1.500 VDC. Zone 4 dagegen definiert sich als Bereich, in der eine einzige Elektronik-Quelle Strom liefert und sehr schnell abschalten kann – zum Beispiel USB-C Stromversorgungen.
DC-Microgrids reduzieren jedoch vor allem die Gefahr einer Überlastung des überregionalen Verteilnetzes. Durch ihr autonomes, lokales Lastmanagement und die lokale Speicherung von Energie reduzieren sie die Schwankungen auf den Leitungen der Netzbetreiber und tragen so zur Versorgungssicherheit bei – neben Effekten wie Kosteneinsparungen bei der Installation, reduzierter Komplexität, verringerten Umwandlungsverlusten und höhere Effizienz.
© Gerald Friederici, 2024