Der Ausbau der Erneuerbaren und die stark zunehmende Nutzung elektrischer Energie anstelle von z.B. fossilen Energieträgern führt zu einer erhöhten Belastung der Übertragungs – und Verteilnetze. Alternativ zum Bau neuer Stromtrassen steht die Ertüchtigung bestehender Übertragungsleitungen mit neuen Leiterseilen.
Eine Möglichkeit, die vorhandene Infrastruktur an den gestiegenen Bedarf an Übertragungsleistung bzw. die stärker schwankenden Strombelastungen anzupassen, ist der Einsatz von Hochtemperatur-Leiterseilen. Sie ermöglichen bis zu 90% mehr Übertragungsleistung gegenüber herkömmlichen Hochstrombeseilungen, ohne dass Masten ausgetauscht werden müssten. Der Betrieb bei 150°C bis zu 210°C liegt weit über der für Standardleiter (Stahl und Aluminium) empfohlenen Grenze von 80°C. Diese hohen maximalen Leitertemperaturen ermöglicht eine größere Leistungsreserve, vergrößert jedoch auch die Verluste und den Bedarf an Blindleistung auf den Übertragungsnetzleitungen.
Der Verlust, der über die normale Verseilung hinaus geht, tritt allerdings nur auf, wenn auch tatsächlich die maximal erlaubte Leitertemperatur ausgenutzt wird. Das geschieht im planmäßigen Betrieb vor allem in Zeiten von Spitzenstrom-Bedarf. Da dieser Spitzenstrom vor allem mit schnell regelbaren z.B. Erdgas-Kraftwerken bereit gestellt wird, ist er sehr teuer. Deshalb werden Verbraucher diese Phasen so kurz wie möglich halten. Zukünftig werden auch z.B. große MW-Batteriespeicher diesen kurzfristigen Spitzenstrombedarf glätten, ohne dass teure Gasturbinen einspringen müssen. Der Vorteil der Hochtemperaturseile ist wichtig für die Stabilität des Netzes, die zusätzlichen Verluste wegen der zeitlichen Begrenzung der Spitzenbelastung jedoch vernachlässigbar.
Die spezielle Materialkombination aus Leiter- und Verseildrähten ermöglicht auch bei diesen erhöhten Temperaturen die Einhaltung des maximal zulässigen Durchhangverhaltens. Das Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE (FNN; https://www.vde.com/de/fnn) hat zu den Besonderheiten bei Planung und Einsatz dieser „heißen Seile“ eine Sammlung technischer Hinweise erarbeitet. Weltweit werden Erfahrungen mit solchen Hochtemperaturleitern gesammelt, um die erheblichen Kosten für einen Leitertausch abzusichern und einen normgerechten, sicheren Betrieb zu gewährleisten.
Ein aktuelles Beispiel für eine solche Umbeseilung (Tausch klassische Stahl-/Aluminium Beseilung gegen Hochtemperaturleiterseile) ist die 380 kV-Leitung zwischen Vieselbach in Thüringen und Mecklar in Hessen (87 Kilometer).
©Gerald Friederici 10/2024