Der Streit zwischen Thomas Alva Edison und seinem Konkurrenten George Westinghouse war auch der Streit um Gleichstrom oder Wechselstrom. Nikola Tesla unterstützte schließlich die Wechselspannung, da man mithilfe von Transformatoren große Mengen elektrischer Energie bei höheren Spannungen verlustärmer über lange Strecken übertragen konnte. Moderne Anforderungen an Effizienz und Kostenreduktion bescheren den Gleichstromnetz jedoch eine Renaissance. Niederspannungsgleichstromnetzwerke (LVDC, Low Voltage Direct Current) sind dafür aussichtsreiche Kandidaten.
Seitdem George Westinghouse den Wettstreit gewonnen hat, ist das klassische Stromnetz gegliedert in zentrale Stromversorger und dezentrale Verbraucher. Hierarchisch wird Strom bei einem hohen Spannungsniveau über Hochspannungstrassen deutschland- und europaweit verteilt. Regional wir er dann über die Mittelspannungsschiene in die Nähe der Verbraucher geführt, wo schließlich über Verteiltransformatoren die üblichen Spannungsniveaus 230VAC/400VAC dem Endkunden zur Verfügung gestellt werden.
Regenerative Energieerzeuger wie Wasser, Wind, Solarenergie und Biomasse verändern diese klassische Netzstruktur. Mehr und mehr dezentrale Einspeisepunkte belasten das Verteilungsnetz ungleich höher als noch vor 10 Jahren (2019 lag der Anteil regenerativer Energien am Strommix bei 43%).
Um in einem solch heterogenen Umfeld weiterhin die hohe Verfügbarkeit zu gewährleisten und für zukünftige Anforderungen (z.B. Elektromobilität) gewappnet zu sein, sind neue, intelligente Lösungen notwendig.
Wie in der Industrie der Begriff „Industrie 4.0“ einen Wandel hin zu einer durchgehenden Digitalisierung des Fertigungsprozesses beschreibt, stehen die Begriffe „Smart Grid“ und „Sektorenkopplung“ für eine intelligente, vernetzte Zusammenarbeit zwischen Energiewirtschaft und den Verbrauchern.
Netzqualität und regenerative Energiequellen
Um auf Dauer nicht abhängig zu sein von Kohle und Öl zur Bereitstellung der sogenannten Grundlastversorgung, benötigt ein solches intelligentes Netz auch neue Ansätze in Bezug auf die Sicherstellung der Netzqualität. Denn die klassischen Quellen für regenerative Energie sind in Deutschland die Windkraft und Solarenergie – beide Techniken sind nicht grundlastfähig. Vor allem die wetterbedingt kaum vorhersehbaren Änderungen des Beitrags zur Stromerzeugung müssen deshalb auf andere Weise abgefangen werden.
Es existieren die verschiedensten Konzepte, wie man große Mengen Energie speichern könnte, um sie im Bedarfsfall wieder in elektrischen Strom zu verwandeln. Eine der ältesten Methoden sind Pumpspeicherkraftwerke, in denen Wasser mithilfe überschüssigen Stroms auf ein höheres (Energie-)Niveau gepumpt wird, um es danach in Turbinen wieder in Strom zu verwandeln. Dieser Technik sind im dichtbesiedelten Deutschland enge Grenzen gesetzt.
Derzeit eine der am stärksten favorisierten Lösungen zum Abfangen von Fluktuationen in der Stromerzeugung sind Megawatt-große Batteriespeicher. Die ausgereifte Technologie der Lithium-Ionen-Batterien macht heute solche großen Energiespeicher möglich. Sie werden vor allem von Energieversorgern dazu genutzt, die Netzqualität (Primärregelleistung) zu verbessern. Sie können auch (teuren) Spitzenstrombedarf decken, da Batterien sehr schnell Energie abgeben können.
Doch Lithium-Ionenbatterien sind trotz stark gesunkener Preise pro gespeicherter kWh teuer.
Eine andere Idee, regenerativ gewonnene Energie zu speichern, ist die Anwendung der Elektrolyse. Statt Gigawattstunden an Wind- und Solarstrom zu verschwenden, indem an windreichen, sonnigen Tagen massenhaft Anlagen abgeschaltet werden, könnte man über die Elektrolyse Wasserstoff produzieren. Wasserstoff ist ein chemischer Energiespeicher mit einem hohen Energiegehalt und dabei vergleichsweise einfach zu lagern und zu transportieren. Tatsächlich existiert bereits sogar ein sehr großes Verteilnetz: das deutsche Erdgasnetz.
Wasserstoff kann in Brennstoffzellen zusammen mit dem in der Luft enthaltenen Sauerstoff wieder in elektrische Energie umgewandelt werden. Bei Kraft-Wärme-Kopplung z.B. in Blockheizkraftwerken, in denen die Abwärme der Fuelcells als Fernwärme genutzt wird, erreicht man Wirkungsgrade von über 70%.
Noch weiter gedacht kann man aus regenerativ gewonnenem Wasserstoff zusammen mit Kohlendioxyd aus der Luft sogar Methan und flüssige Kohlenwasserstoffe herstellen, sogenannte E-Fuels. Gasturbinen können entweder direkt mit Wasserstoff oder mit grünem Methan hocheffizient Strom erzeugen, E-Fuels wären als CO2 neutraler Brennstoff auch für die Erzeugung des Wärmebedarfs in Industrie, Verkehr und Haushalten einsetzbar.
Regenerative Energiequellen und Gleichstrom
Bei nahezu allen Lösungen zur Bereitstellung CO2-neutralen Stroms fällt auf, dass die ursprünglich generierte Spannungsart „Gleichspannung“ ist. Solaranlagen erzeugen Gleichstrom, in Windkraftanlagen wird der Generatorstrom vor der Netzeinspeisung in einem Zwischenkreis in Gleichspannung umgewandelt, Brennstoffzellen liefern Gleichstrom und bei Lithium-Ionen-Batterien steht auch stets eine Gleichspannung an den Klemmen an.
Auf der Verbraucherseite existieren in immer stärkerem Maße ebenfalls vor allem Geräte, die Gleichspannungseinspeisung erfordern. Der klassischen Glühbirne war es noch egal, welche Stromart die Glühwendel durchfloss, moderne LED-Beleuchtung jedoch benötigen Gleichspannung.
Im Moment wird zwischen Erzeugerseite und Verbraucherseite noch in mehreren Stufen Gleichspannung in Wechselspannung umgewandelt und dann wieder zurück zu Gleichspannung, um den regenerativ gewonnenen Strom über das existierenden Stromnetze transportieren zu können. Dabei entstehen an jedem Umwandlungsort Verluste. Im Extremfall kann der Umwandlungsverlust im Vergleich zum eigentlichen Strombedarf 50% übersteigen. Zudem fallen für jede Umwandlungsstufe zum Teil erhebliche Bauteilkosten (Netzteil, Frequenzumrichter) an.
All diese Wandlerverluste (DC-AC-DC) können reduziert werden durch ein Low Voltage Direct Current Netz (LVDC) unterhalb der großen Verteilnetze der Energieversorger. Sie spielen zunehmend eine wesentliche Rolle bei der sogenannten Sektorenkopplung. Hierunter versteht man prinzipiell die Kopplung eines lokalen Netzwerks dezentraler Verbraucher für „Strom, Wärme, Antrieb und Chemie“ über Energiespeicher. Beispiel Ladestationen für Elektromobilität: Statt die Leistung eines entfernten Kraftwerks und die Netzbelastbarkeit der Versorgungsleitungen für den maximal möglichen Strombedarf auszulegen, können dezentrale Stromlieferanten wie Wasserstoff-betriebene Brennstoffzellen oder - in bedarfsarmen Zeiten aufgeladene - Redox-Flow-Batterien und Lithiumionen-Batteriestationen den abendlichen Spitzenbedarf des Akkuladens liefern.
Niederspannungsgleichstromnetze als Teil eines Smarter Grid
Der Rollout der Smartmeter (Intelligente Stromzähler) ist ein Baustein auf dem Weg zu einem intelligenten Stromnetz. Ein weiterer wären flexible Stromentgelte (ähnlich dem früheren Nachtstrom), die Anreize bilden, Strom nicht zu Spitzenzeiten zu verbrauchen. Auch die Möglichkeit der Stromdrosselung und Zwischenspeicherung bzw. Entnahme von Energie aus den zahllosen Einspeisepunkten privater Solarenergiespeicher würde eine netzdienliche Steuerung ermöglichen. Experten schätzen daher, dass zusammen mit solchen Maßnahmen der Netzausbau für zukünftige Strombedarfe bei weitem nicht so kostenintensiv sein werden wird, wie zunächst vermutet. Zudem sehen selbst sehr vorsichtige Schätzung der Energieunternehmen erst ab etwa 20% Anteil der Elektromobilität die Netzqualität gefährdet. Derzeit haben Elektrofahrzeuge noch einen Anteil von unter einem Prozent.
Ein Low Voltage DC Netz ist in diesem Konzept eine fast logische Weiterentwicklung. Denn Rechenzentren mit Bedarfen teilweise im Gigawatt-Bereich, große LED-Gebäudebeleuchtungen, Ladestationen für E-Mobilität, Elektrolyseure zur Herstellung von grünem Wasserstoff und viele chemische Prozesse erfordern Gleichstrom genauso wie nahezu alle elektronischen Geräte.
Ein Niederspannungsgleichstromnetz erhöht die Effizienz, ermöglich kleinere Bauformen (Netzteil entfällt) und reduziert Investitionskosten durch reduzierten Bauteilaufwand.
Dennoch werden sich LVDC-Netze nur langsam entwickeln, da die Investitionszyklen in vielen Bereichen lang sind (z.B. Bestandsimmobilien). Interessant dagegen ist der Aufbau von Gleichstrom-Netzwerken bei neu errichteten Gebäuden sowie bei der Sektorenkopplung im Rahmen der Energiewende – ein Gleichstrom-angetriebenes Elektrofahrzeug lädt man am effizientesten mit Gleichstrom. Eine große Hürde für die rasche Verbreitung von DC-Netzen ist gewiss die fehlende Erfahrung vieler Marktteilnehmer und fehlende oder nicht angepasste Normung. Auch muss der Vorteil einer DC-DC Versorgung erst noch erkannt und dann wirtschaftlich genutzt werden können. Die zunehmende Nutzung von regenerativ gewonnenem Strom rückt das DC-Netz jedoch immer stärker in den Focus der Industrie. Dies zeigt die steigende Anzahl von LVDC-Installationen in Deutschland und weltweit.
(09/2020)
Januar 2023: Der ZVEI hat die "Open Direct Current Alliance (ODCA)" gegründet.
Ziel ist es, die Gleichspannung als zusätzliches (und an manchen Stellen alternatives) Stromversorgungsnetz marktreif zu machen. Durch mehrere Vorteile der Stromversorgung mit DC sind erhebliche Ressourceneinsparungen möglich (50% Einsparung beim Kupfer, zahlreiche Umwandlungsverluste bei der Transformation von DC zu Ac und schließlich zurück nach DC).
Unter anderen gehören Firmen wie Audi, Bender, der Transformatorenhersteller Block, Danfoss, E-T-A, Lapp, Lenze, Phoenix Contact, Rittal, Siemens, Weidmüller und mehrere Fraunhofer Institute sowie Hochschulen zu den Gründungsmitgliedern.