Obwohl Europa eines der stabilsten Stromnetze der Welt hat, steht es dennoch vor gewaltigen Herausforderungen. Die zunehmend stärkere dezentrale Einspeisung von immer mehr regenerativer Energie mit ihren natürlichen Fluktuationen erfordert eine massive Anpassung. Die Notwendigkeit der Zwischenspeicherung von elektrischer Energie wurde bei der Einleitung der Energiewende nicht in ausreichendem Maße berücksichtig – und wird nun zur Mammutaufgabe.
In Deutschland gibt es vier Spannungsebenen im Stromnetz, die jeweils eine spezifische Funktion bei der Übertragung und Verteilung von elektrischer Energie erfüllen. Diese sind:
Die höchste Spannungsebene im deutschen Stromnetz wird mit 220 bis 380 Kilovolt (kV) betrieben. Sie dient dem Transport von großen Strommengen über weite Strecken, beispielsweise von Kraftwerken zu großen Verbrauchszentren oder zwischen Regionen. Das Höchstspannungsnetz ist somit das „Rückgrat“ der deutschen Stromversorgung. Aufgrund der hohen Spannung treten hier vergleichsweise geringe Übertragungsverluste auf. Betreiber dieses Netzes sind die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB): 50Hertz, Amprion, Tennet TSO und TransnetBW. Einspeiser sind bislang große Kohlekraftwerke, Wasserkraftwerke und ggf. Gaskraftwerke. Hinzu kommen Offshore-Windparks und der Stromimport-/export zwischen den Ländern der EU.
Die Ebene der Hochspannung umfasst Spannungen von 60 bis 220 kV, meist 110 kV. Sie dient der Verteilung des Stroms innerhalb von Regionen und verbindet das Höchstspannungsnetz mit den Umspannwerken der Verteilnetzbetreiber (VNB`s). Auch hier werden noch größere Energiemengen transportiert, jedoch über kürzere Distanzen als bei der Höchstspannung. Angeschlossen werden auch große Windparks und große Unternehmen mit einem hohen Stromverbrauch sowie das Eisenbahnnetz. Einspeiser können Industriekraftwerke oder Städtische Kraftwerke sein, aber auch Onshore Windkraftparks.
Bei der Mittelspannung liegen Spannungen von 6 bis 60 kV vor. Diese Ebene dient der Verteilung des Stroms innerhalb von Städten und Gemeinden und versorgt beispielsweise Industriegebiete oder größere Gewerbebetriebe direkt. Sie verbindet die Umspannwerke mit den Ortsnetzstationen, die den Strom dann in die Niederspannung umwandeln. Einspeiser können Windparks und Solarfarmen mittlerer Leistung sein.
Dies ist die niedrigste Spannungsebene bei den Verteilnetzen ist die Niederspannung mit 230/400 Volt. Sie dient der direkten Versorgung von Haushalten, kleineren Gewerbebetrieben und öffentlichen Einrichtungen. Über das Niederspannungsnetz wird der Strom vom Hausanschlusskasten in die einzelnen Verbraucher im Gebäude geleitet. Inzwischen sind diese Verbraucheranschlüsse jedoch auch zu Einspeisern geworden: Batteriespeicher, PV-Anlagen, Elektrofahrzeuge.
Durch diese hierarchische Struktur wird eine effiziente und sichere Übertragung und Verteilung von elektrischer Energie gewährleistet. Jede Ebene erfüllt dabei eine spezifische Aufgabe und trägt zur Stabilität des gesamten Stromnetzes bei. Die Netzwerk-Ebenen sind über Transformatoren (Umspannwerke) miteinander verknüpft.
In Deutschland gibt es rund 300 Umspannwerke, die speziell für die Höchstspannungsebene (220 kV und 380 kV) in Deutschland zuständig sind. Diese Zahl ist Angaben der vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) entnommen.
Zusätzlich zu diesen Umspannwerken gibt es in Deutschland noch ca. 3000 weitere Umspannwerke und Trafostationen, die den Strom von der Hochspannung über die Mittelspannung bis zur Niederspannung transformieren.
Diese große Anzahl an Umspannwerken ist notwendig, um die unterschiedlichen Spannungsebenen miteinander zu verbinden und eine sichere und effiziente Verteilung der elektrischen Energie zu gewährleisten. In den Umspannwerken werden Transformatoren eingesetzt, um die Spannung je nach Bedarf herauf- oder herunterzutransformieren. Sie können - wenn entsprechend vorgesehen, bidirektional betrieben werden.
Die Herausforderung Netzzustand erfassen und Überlastungen entgegenwirken
Das Stromnetz, vor allem unterhalb der Höchstspannungsebene, ist bei weitem noch nicht ausreichend digital ausgebaut. Dadurch wissen die Verteilnetzbetreiber nicht genau Bescheid über den momentanen Zustand ihres Netzwerkes. In gewisser Weise ist es ein Betrieb des Netzes im "Blindflug", der in der Vergangenheit durch ein hohes Maß an Erfahrung teilweise kompensiert wird.
Umspannwerke und Ortsnetzstationen sind noch zu einer sehr großen Zahl nicht digital ausgerüstet. Und wenn sie es sind, geht es in den meisten Fehlen um die reine Beobachtung der Leistungsdaten ohne die Möglichkeit der Steuerung. Zusätzlich ist die Anzahl der bereits installierten Smartmeter (Steuerung von Verbrauchern und Einspeise-Punkten im Niederspannungsbereich) noch extrem gering (auch im europäischen Vergleich, was u.a. an den strikten Datenschutzauflagen in Deutschland liegt).
Für den Ausbau der Übertragungs- und Verteilnetze werden mehrere 100 Milliarden Euro notwendig sein. Neben diesen immensen Kosten geht es vor allem darum, mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien Schritt zu halten. Denn der Betrieb eines so umfangreichen und zunehmend dezentralen Stromnetzes ohne wirklich viel Informationen über dessen Zustand zu haben, ist höchst problematisch. Neben der Belastung durch das plötzliche Zuschalten von Lasten kann ein Stromnetz auch durch zu viel Einspeisung überlastet werden. Gerade im Niederspannungsnetzen findet eine sehr kleinteilige Einspeisung (private PV-Anlagen, kleine Gewerbe, Batteriespeicher) statt. Dies ist jedoch die Spannungsebene, die am wenigsten digitalisiert ist, weswegen hier von den Netzbetreibern nur rein rechnerisch eine mittlere und höchste Netzbelastung angenommen werden kann. Im Moment kann das für Haushalte, die gerne eine Wärmepumpe oder eine PV-Anlagebeantragen wollen, aber auch Gewebebetriebe, die ihren Mitarbeitern Ladesäulen anbieten wollen, bedeuten, dass sie keinen entsprechenden Anschluss bekommen, weil die Netzkapaztität nicht ausreicht.
Zu dem zunehmenden Ausbau der erneuerbaren Energien (EE) und dem stärker werdenden Einfluß der Fluktuationen der EE kommt also ein steigender Elektrifizierungsgrad in Sektoren wie Verkehr und Wärme hinzu. Dadurch müssen sowohl die Kapazität der Netze als auch die Steuerungsmöglichkeiten an den Knotenpunkten wie Umspannwerken und Trafostationen erheblich erweitert werden.
Diese Erweiterungen finden unter schwierigen Bedingungen statt: Enorme Investitionskosten und ein akuter Fachkräftemangel behindern den Netzausbau erheblich. Eine bessere Synchronisierung zwischen dem Zubau von EE-Anlagen und dem Ausbau der Netze ist daher unerlässlich. Die Digitalisierung spielt hierbei eine Schlüsselrolle. Sie ermöglicht nicht nur eine präzisere Steuerung der Lastflüsse sowohl im Übertragungs- als auch im Verteilnetz, sondern eröffnet auch neue Geschäftsmodelle. Diese ermöglichen es Stromproduzenten, durch netzdienliche Leistungen wie die Bereitstellung von Regelenergie (z.B. durch Batteriespeicher zur Deckung von Spitzenlasten anstelle von Gaskraftwerken) zusätzliche Einnahmen zu erzielen. Dies trägt zur Netzstabilität bei und reduziert gleichzeitig den Bedarf an konventioneller Regelenergie.
Fehlende Energiespeicher verteuern Erneuerbare Energien
Die niedrigen Produktionskosten von Solar- und Windenergie führen aktuell noch nicht zu einer deutlichen Entlastung der Strompreise für Verbraucher. Ein Hauptgrund dafür liegt in der Notwendigkeit, bei geringer Einspeisung aus erneuerbaren Energien (EE) teure Regelenergie zu beschaffen. Diese wird im Bedarfsfall, häufig aus teuren Gaskraftwerken, am Spotmarkt (z.B. EPEX, stündliche Preise) eingekauft, um die Netzfrequenz und somit die Stabilität des Stromnetzes durch die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) sicherzustellen. Diese kurzfristigen Beschaffungen am Spotmarkt können mit Preisen von über 400 EUR/MWh extrem kostspielig sein, insbesondere im Vergleich zu den langfristigen Stromhandelsverträgen an der Strombörse, die Preise im Bereich von 50-100 EUR/MWh aufweisen. Diese Preisdifferenz belastet das Stromsystem erheblich. Energiespeicher, wie beispielsweise Batteriespeicher oder Wasserstoffspeicher, könnten hier eine preisdämpfende Wirkung entfalten, indem sie überschüssige Energie aus Zeiten hoher EE-Produktion speichern und bei Bedarf wieder ins Netz einspeisen. Allerdings sind diese Speichertechnologien derzeit noch nicht in ausreichendem Umfang verfügbar, um einen signifikanten Einfluss auf die Strompreise zu haben.
Die Netzbetreiber müssen bei dem Nachregeln überschüssiger oder fehlender elektrischer Energie die Belastung ihrer Übertragungsnetze (Leitungen, Transformatoren) im Blick behalten, verfügen aber oft noch nicht über die notwendige Transparenz über deren tatsächlichen Zustand, da die erforderliche Digitalisierung noch nicht flächendeckend umgesetzt ist.
Netzausbau und der Bezug von (teurer) Regelenergie führen somit zu höheren Stromkosten, obwohl Erneuerbare Energien vergleichsweise günstig sind. Dies zeigt sich besonders deutlich in Phasen mit geringer Wind- und Solarenergieeinspeisung, sogenannten Dunkelflauten. In solchen Situationen können die verbliebenen Großkraftwerke den gesamten Strombedarf nicht decken, sodass teure Regelenergie von Gaskraftwerken zugekauft werden muss. Derzeit fehlen noch ausreichende Speicherkapazitäten, um solche Dunkelphasen effektiv zu überbrücken und den Bedarf an teurer Regelenergie zu minimieren.
© Gerald Friederici 12/24