Schweden: Günstigere Industriestrompreise durch andere Voraussetzungen

Schweden (10,6 Mio Einwohner) zeichnet sich in Europa durch besonders günstige Industriestrompreise aus, die im Durchschnitt bei rund 10 Cent pro Kilowattstunde liegen. An der Strombörse lagen die Durchschnittspreise 2025 sogar zeitweise nur zwischen 1,4 und 5,8 Cent pro Kilowattstunde, wobei es deutliche Preisunterschiede zwischen den vier Preiszonen des Landes gibt (im Norden am günstigsten).

Für wirklich energieintensive Unternehmen mit über 150 GWh Jahresverbrauch lagen die Preise im zweiten Halbjahr 2024 bei nur 5,6 Cent/kWh (inklusive nicht erstattungsfähiger Steuern). Im Vergleich dazu lag der EU-Schnitt bei 22,3 Cent/kWh für Unternehmen und 11,8 Cent/kWh für die energieintensiven Abnehmer. Die günstigen Preise sind jedoch nicht auf Atomkraft zurückzuführen, deren Anlagen sich in den teureren südlichen Zonen befinden und deren Abschaltungen in der Vergangenheit nicht zu einem Preisanstieg führten.

Der Schlüssel zu den niedrigen Industriestrompreisen liegt in der historischen und umfassenden Nutzung der Wasserkraft, insbesondere im Norden des Landes, wo ein Großteil der energieintensiven Industrie (Stahl, Bergbau, Zellstoff, Papier) angesiedelt ist. Es lassen sich dabei recht einfach Vergleiche mit Norwegen ziehen, die auch zu einem sehr hohen Prozentsatz ihre Energie aus der Wasserkraft beziehen.

Die Basis des schwedischen Energiesystems: Wasserkraft 

Schweden verfügt über eine installierte Wasserkraftwerksleistung von 16,4 GW, die größtenteils aus den 1960er und 1970er Jahren stammt und somit weitgehend abgeschrieben ist. Dies ermöglicht eine sehr kostengünstige Stromerzeugung. Viele der Kraftwerke sind Speicherwasserkraftwerke mit einer Speicherkapazität von beeindruckenden 30 TWh. Diese Flexibilität ist entscheidend, um die wetterbedingten Schwankungen der erneuerbaren Energien, insbesondere der stark ausgebauten Windenergie (aktuell 18 GW installiert), auszugleichen. Die Speicherwasserkraftwerke übernehmen die Rolle der gesicherten, flexiblen Leistung im System (ähnlich der Kohle- und Gaskraftwerke in Deutschland).

Ein einfacher Vergleich "Schweden ist besser/billiger als Deutschland bei seinem Energiesystem" wird also keinesfalls den sehr unterschiedlichen Voraussetzungen gerecht und verzerrt unzulässig die vorhandenen Realitäten und jeweiligen Möglichkeiten.

Energiemix und Anteil regenerativer Energie in Schweden 

Der schwedische Energiemix ist extrem kohlenstoffarm und fossilfrei. Seit 2020 spielt Kohle keine Rolle mehr und andere fossile Brennstoffe (wie Gas) machen nur einen sehr kleinen Anteil aus.

Energiequelle Anteil an der Stromerzeugung (Stand 2022/2024) 

  • Wasserkraft: Größter Teil, 40,2 % (2024)
  • Atomkraft: Wichtige Rolle, abnehmend, 28,6 % (2024)
  • Windkraft: Wichtigste erneuerbare Quelle neben Wasser, stark zunehmend, 21,0 % (2024)
  • Biomasse: Konstante Rolle, 7,8 % (2024)
  • Photovoltaik: Stark zunehmend, aber aufgrund der nördlichen Lage geringerer Anteil, 1,9 % (2024)
  • Fossile Energieträger: Nur ein sehr kleiner Rest (Gas), 0,5 % (2024)

Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung liegt somit bei über 70 % (Wasserkraft, Windkraft, Biomasse, PV). Der Gesamtanteil erneuerbarer Energien über alle Sektoren (Strom, Verkehr, Wärme) ist in Schweden besonders hoch. Mit 66,4 % (Stand 2023) liegt Schweden europaweit an der Spitze (EU-Schnitt: 24,6 %, Deutschland: 21,6 %). Das Land ist auch Vorreiter im Transportsektor (33 % erneuerbar) und im Gebäudesektor (67 % erneuerbar für Heizen und Kühlen).

Progressive Energiepolitik - ein Grund für diese beeindruckenden Zahlen 

Schweden setzte früh auf eine progressive Energiepolitik, die den Umbau der Sektoren seit Jahrzehnten vorantreibt:

  • CO2-Steuer: Bereits 1991 eingeführt, war sie ein absoluter Vorreiter. Sie schuf eine klare Lenkungswirkung: Der Verursacher zahlt, und Emissionen wurden schrittweise immer teurer besteuert.
  • NOx-Steuer: 1992 eingeführt, besteuert diese Stickoxidemissionen größerer Verbrennungsprozesse. Ein gekoppelter Auszahlungsmechanismus begünstigt saubere Verbrennungsprozesse, was für eine klare Lenkungswirkung sorgte.
  • Strompreiszonen: Die Aufteilung in vier Preiszonen (Nord am günstigsten, Süd am teuersten) spiegelt die tatsächlichen Erzeugungskosten wider. Dies setzt einen Anreiz für die energieintensive Industrie, sich dort anzusiedeln, wo der Strom günstig erzeugt wird, was gleichzeitig den notwendigen Netzausbau und die Kosten reduziert.

Die Rolle der Atomkraft in Schweden 

Obwohl die Atomkraft historisch eine wichtige Rolle gespielt hat und die schwedische Energiepolitik 2023 eine Wende mit dem Ziel 100 % fossilfreie Erzeugung bis 2040 eingeleitet hat, ist sie nicht der Grund für die günstigen Strompreise.

  • Geplante Neubauten: Im Mai 2025 verabschiedete das Parlament ein Gesetz zur staatlichen Unterstützung neuer Kernkraftanlagen mit insgesamt 5 GW Leistung (vier große Reaktoren oder SMRs).
  • Uranbergbau: Zur langfristigen Sicherung der Brennstoffversorgung und zur Verringerung der Abhängigkeit plant die Regierung, das Verbot für Uranbergbau ab Januar 2026 aufzuheben.
  • Realität der Preise: Die bestehenden Reaktoren befinden sich in den teureren südlichen Preiszonen, und die Preise sanken nach früheren Reaktorabschaltungen sogar. Die Atomkraft wird in Schweden eher als klimafreundlich, zuverlässig und unabhängig, aber nicht als günstig angesehen.

Die schwedischen Erfolge bei den günstigen Industriestrompreisen und der Energiewende sind auf drei Hauptfaktoren zurückzuführen: abgeschriebene Wasserkraft als flexible Basis (in Deutschland praktisch nicht ausbaubar), eine frühzeitige und effektive CO2-Besteuerung zur Lenkung und Strompreiszonen, die Industrie zum günstigen Norden ziehen.

Der unerwünschte Effekt der Energiewende in Deutschland für Anreinerstaaten 

Obwohl Schweden mit in Summe über 90 Prozent seiner Stromerzeugung aus klimaneutralen Quellen (Wasserkraft und Kernkraft) zu den Pionieren einer kostengünstigen und stabilen Energieversorgung in Europa zählt, profitieren die schwedischen Konsumenten oft nicht von ihren niedrigen Erzeugungskosten. Der Grund dafür liegt im liberalisierten europäischen Strommarkt und der deutschen Energiewende.

Nicht nur, aber auch durch den vorzeitigen Ausstieg Deutschlands aus Kohle und Kernenergie ist die Bundesrepublik bei der Deckung ihres Strombedarfs, insbesondere in Phasen geringer Wind- und Solarleistung (Dunkelflaute), stark auf Stromimporte angewiesen. Deutschland fungiert dabei durch seine Größe und die Marktanbindung als preisbildender Nachfrager im europäischen Stromverbund. Das schwedische (wie auch Norwegen und Dänemark) Stromnetz ist über Langstrecken-Übertragungsnetze (z.B. HGÜ) mit dem Kontinent, einschließlich Deutschland, verbunden. Auf dem europäischen Strommarkt gilt das Merit-Order-Prinzip, bei dem der Preis durch die teuerste zur Deckung der Nachfrage benötigte Erzeugungsanlage (oft Gaskraftwerke in Mitteleuropa) bestimmt wird.

Wenn Deutschland bei fehlender heimischer Erzeugung große Mengen Strom importiert, steigt die Nachfrage in den verbundenen Märkten, wie Südschweden. Die hohen deutschen Marktpreise werden über die Übertragungsnetze an die europäischen Nachbarländer weitergegeben. Die Folge ist, dass auch die schwedischen Strompreise steigen, obwohl Schweden selbst einen Überschuss an günstig produziertem Strom hat.

Schwedische Konsumenten zahlen somit aufgrund der hohen und volatilen Nachfrage Deutschlands und der Funktionsweise des gekoppelten europäischen Strommarktes höhere Preise, als es ihrer eigenen, kostengünstigen Energieinfrastruktur eigentlich entsprechen würde. Dies führt tatsächlich in Teilen der schwedischen Bevölkerung zu wachsendem Unmut gegenüber der deutschen Energiepolitik.

Daten: Eurostat und Enegy-Charts