Verzögerter Netzanschluß – gibt es einen Schuldigen?
Die Situation bezüglich des Netzanschlusses für regenerative Energiequellen in Deutschland ist komplex. Während das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) den Netzbetreibern eine unverzügliche und vorrangige Anschlusspflicht auferlegt, gibt es in der Praxis dennoch Herausforderungen und Kritikpunkte, die zu Verzögerungen führen können. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Netzbetreiber selbst unter erheblichem Druck stehen, die enormen Mengen an neu installierten erneuerbaren Energien in ihre Netze zu integrieren. Diese Integration erfordert große Investitionen (ca. 700 Milliarden Euro bis 2045), die zum Teil auf der Annahme zukünftiger Entwicklungen basieren und politische Verlässlichkeit (Stichwort Reaktivierung Atomstrom) erfordern.
Es gibt zahlreiche Faktoren, die die Installation neuer Netzanschlüsse beeinflussen. Um es vorwegzunehmen: wie stark die deutschen Netzbetreiber diese Prozesse (potenziell) behindern oder zumindest verzögern, ist schwer zu beurteilen:
Gesetzliche Grundlagen und Aufsicht:
- Anschlusspflicht (§ 8 EEG): Netzbetreiber sind gesetzlich dazu verpflichtet, Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien "unverzüglich" und vorrangig an das Netz anzuschließen. "Unverzüglich" bedeutet "ohne schuldhaftes Zögern".
- Bundesnetzagentur (BNetzA): Die Bundesnetzagentur hat seit der EEG-Änderung 2021 die Aufsicht über die Einhaltung dieser Anschlusspflichten. Sie ist die zentrale Anlaufstelle bei Verzögerungen und Streitigkeiten.
- Clearingstelle EEG|KWKG: Diese unabhängige Einrichtung klärt Streitigkeiten und Anwendungsfragen des EEG und KWKG und kann auch bei Netzanschlussproblemen angerufen werden. Es gibt zahlreiche Urteile und Stellungnahmen zu Fällen, in denen Netzbetreiber den Anschluss verzögert oder verweigert haben, und Gerichte haben die Anlagenbetreiber oft im Recht gesehen.
Herausforderungen und Gründe für Verzögerungen
Ein Hauptgrund für Verzögerungen ist gewiss der im historischen Vergleich enge Zeitrahmen, in dem das Netz ertüchtigt werden muß. Die dafür notwendigen Ressourcen mussten erst einmal aufgebaut werden (z.B. ausreichend Fachpersonal).
- Massiver Ausbau und Netzengpässe: Der Zubau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen ist enorm. Dies führt zu einem erheblichen Bedarf an Netzausbau und -verstärkung. Die Netze sind oft nicht auf die dezentrale Einspeisung in diesem Umfang ausgelegt. Netzbetreiber müssen massive Investitionen tätigen, um die Netze fit für die Energiewende zu machen. Bevor eine solche Anlage angeschlossen werden kann, muss der Netzbetreiber eine Netzverträglichkeitsprüfung durchführen, um sicherzustellen, dass die Anlage das Netz nicht überlastet oder instabil macht. Dies erfordert Informationen vom Anlagenbetreiber und kann je nach Komplexität der Anlage und der Auslastung des Netzbetreibers einige Wochen in Anspruch nehmen.
- Ein nicht nur in dieser Branche vorhandener Stolperstein: Weder bei den Netzbetreibern noch bei den Installationsunternehmen sind ausreichend Fachkräfte verfügbar, um die Bearbeitung von Anschlussbegehren und die Umsetzung von Anschlüssen zeitnah umsetzen zu können. Zusätzlich behindert eine über Jahrzehnte gewachsene Bürokratie ein schnelles Vorankommen. Obwohl es Bestrebungen zur Digitalisierung und Standardisierung der Verfahren gibt (ab 2025 sollen Anfragen über Webportale der Netzbetreiber erfolgen), kann der Informationsaustausch zwischen Anlagenbetreibern (oft vertreten durch Fremdunternehmen wie Installateure) und Netzbetreibern zu Verzögerungen führen, wenn Angaben z.B. unvollständig oder unzutreffend sind.
- Technische Anforderungen: Der Netzanschluss muss den technischen Anforderungen des Netzbetreibers und den geltenden Normen (z.B. VDE-AR-N 4105) entsprechen. Die Einhaltung dieser Vorgaben liegt in der Verantwortung des Anlagenbetreibers, wird aber vom Netzbetreiber geprüft. Zusätzlich können gerade bei größeren Anlagen oder bei Anlagen in dünn besiedelten Gebieten für den Netzanschluss umfangreiche bauliche Maßnahmen und Genehmigungsverfahren erforderlich sein, die den Prozess zusätzlich in die Länge ziehen.
- "Cable Pooling" und "Netzüberbauung": Neue Konzepte wie das "Cable Pooling" (gemeinsame Nutzung eines Netzanschlusses durch mehrere Anlagen, z.B. PV und Batteriespeicher) sollen die Effizienz erhöhen und Kosten senken, aber die Umsetzung ist noch im Aufbau und erfordert Anpassungen in der Praxis. Die sogenannte "Überbauung" von bestehenden Netzverknüpfungspunkten hat enormes Potenzial, wird aber laut einigen Berichten noch zu selten genutzt.
Indikatoren für "Behinderung" oder zumindest Verzögerungen:
Auch wenn es keine bewusste oder gar absichtliche Verzögerung ist, tragen die folgenden Punkte zu einer Verschleppung von Projekten bei, die vor allem Unkosten und fehlende Ausbaugeschwindigkeit bewirken.
- Klagen, Streitigkeiten und Fristenüberschreitungen: Es gibt immer wieder Fälle, in denen Anlagenbetreiber aufgrund von Verzögerungen oder Verweigerungen des Netzanschlusses rechtliche Schritte gegen Netzbetreiber einleiten. Die Clearingstelle EEG|KWKG verzeichnet entsprechende Anfragen und Entscheidungen. Ein bekanntes Beispiel ist die Verweigerung des Netzanschlusses unter fadenscheinigen Gründen, die gerichtlich schließlich als unzulässig befunden wurde (solche Streitigkeiten werden allerdings oft auch außergerichtlich beendet. Die Clearingstelle selbst veröffentlich weder Gerichtsurteile noch Vergleiche.). Netzbetreiber müssen auf Anschlussbegehren reagieren und Zeitpläne innerhalb eines Monats (für kleine PV-Anlagen bis 30 kW legt §8 Abs. 1 Satz 2 EEG 2023 den geeigneten Verknüpfungspunkt auf den bestehenden Grundstücksanschluss fest, um den Anschlussprozess zu beschleunigen und zu vereinfachen.) mitteilen. Das deutet darauf hin, dass Verzögerungen durchaus ein Problem sind. Die gesetzlichen Vorgaben zur Vereinfachung und Beschleunigung des Netzanschlusses (z.B. ab 2025 die digitale Abwicklung von Netzanschlussbegehren) zeigen, dass hier Handlungsbedarf besteht, um die Prozesse effizienter zu gestalten. Die Netzbetreiber selbst müssen zügig erhebliche Investitionen in die digitale Infrastruktur ihre Netzes tätigen, um einen besseren Überblick zu habe, wo, wann und in welchem Maße Strom eingespeist oder entnommen wird. Nur so kann in einem Stromnetz mit einer Vielzahl an dezentralen Einspeisepunkten die Netzstabilität überwacht werden.
Unabhängigkeit der Netzbetreiber (Unbundling):
Im Rahmen der Energiemarkt-Liberalisierung trennt das sogenannte "Unbundling" die Bereiche Energieerzeugung, -übertragung, -verteilung und -vertrieb innerhalb von Energieunternehmen. In Deutschland ist das Unbundling gesetzlich vorgeschrieben. Ziel ist es, Wettbewerbsverzerrungen (Monopolbildung) zu verhindern und sicherzustellen, dass alle Energieanbieter zu den gleichen Bedingungen Zugang zum Netz haben. Deswegen dürfen Netzbetreiber in der Regel auch keine Energieerzeugungsanlagen betreiben, um eine bevorzugte Behandlung der eigenen Anlagen zu vermeiden (Ausnahmen sind Kleinanlagen auf eigenen Gebäuden). Diese Entflechtung soll theoretisch verhindern, dass Netzbetreiber bewusst den Netzanschluss von Fremdunternehmen behindern, um eigene Interessen zu schützen. Allerdings sorgt der Umstand, dass Netzbetreiber die Infrastruktur bereitstellen müssen und gleichzeitig in einem regulierten Umfeld agieren, für natürliche Spannungen zwischen den Ausbauzielen und der praktischen Umsetzung.
Es ist komplex und unübersichtlich
Es ist sehr schwer zu pauschalisieren, ob deutsche Netzbetreiber aktiv und bewusst Netzanschlüsse für regenerative Energiequellen von Fremdunternehmen "behindern". Der rechtliche Rahmen des EEG verpflichtet sie zum unverzüglichen Anschluss, und die Bundesnetzagentur übt eine Aufsichtsfunktion aus, um dies sicherzustellen.
Vielmehr scheint das Problem in der enormen Komplexität und dem schieren Ausmaß des erforderlichen Netzausbaus zu liegen, gepaart mit bürokratischen Hürden, Fachkräftemangel und den technischen Herausforderungen der Netzintegration. Dies führt oft zu Verzögerungen, die für die Anlagenbetreiber (Fremdunternehmen) natürlich wie eine Behinderung wirken können und erhebliche finanzielle Nachteile mit sich bringen.
Die laufenden Bemühungen um Digitalisierung, Standardisierung und die Einführung neuer Konzepte wie "Cable Pooling" zeigen jedoch, dass auf politischer und regulatorischer Ebene Anstrengungen unternommen werden, um die Prozesse zu beschleunigen und die Integration erneuerbarer Energien zu erleichtern. Dennoch bleiben die Netzbetreiber ein entscheidender Faktor, da sie am Ende die physischen Anschlüsse umsetzen müssen und dabei mit den realen Kapazitätsgrenzen und Herausforderungen vor Ort konfrontiert sind.
Letztlich zeigt sich in der Debatte um den Netzausbau und die Integration erneuerbarer Energien eine komplexe Gemengelage. Je nach Perspektive, ob man als Anlagenbetreiber auf einen schnellen Anschluss drängt oder als Netzbetreiber vor immensen Herausforderungen steht, können Verzögerungen unterschiedlich wahrgenommen werden: Mal als bewusste Hinhaltetaktik zum Schutz bestehender Geschäftsmodelle, mal als unvermeidbare Konsequenz aus dem Zusammenspiel von Fachkräftemangel, Lieferengpässen bei Materialien, langwierigen Genehmigungsverfahren und schlichtweg fehlenden Kapazitäten. Beide Seiten stehen unter erheblichem Druck, die Energiewende voranzutreiben, und es bedarf eines weiterhin konstruktiven Dialogs, um die Hürden gemeinsam zu überwinden. Der Gesetzgeber kann vermittelnd eingreifen - aber bitte ohne Klientelpolitik und unerfüllbaren Wunschvorstellungen. Und er kann die Forschung und Entwicklung fördern, damit der Umbau der Energiewirtschaft sozialverträglich und die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft erhalten bleibt. Eine Aufgabe weit über eine Legislaturperiode hinaus!
Mai 2025